Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 188
Die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags wurde bis zum 31.12.2020 flankiert durch den Erstattungsanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. Danach sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung deren Überschuldung geleistet werden. Der Anspruch wies als schadensunabhängiger Ersatzanspruch eigener Art, der ähnlich den insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen dem Zweck dient, Schmälerungen der Masse im Vorfeld der Insolvenz im Interesse der Gläubigerschaft zu verhindern bzw. rückgängig zu machen, einen starken insolvenzrechtlichen Einschlag auf. Die Zweckbestimmung, Masseschmälerungen auszugleichen, wurde dadurch unterstrichen, dass der Erstattungsanspruch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder dessen Ablehnung mangels Masse voraussetzt und zudem der Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter unterliegt. Schließlich rückte die Ausnahme zugunsten solcher Zahlungen, die an bevorrechtigte Gläubiger erfolgen, den Haftungstatbestand in besondere Nähe zur Insolvenzanfechtung, bei der Nämliches gilt. Damit sicherte der Anspruch auch in starkem Maße die Gleichbehandlung der Gläubiger, indem eine Vorwegbefriedigung Einzelner rückgängig gemacht wird. Die InsO hält eine entsprechende Regelung in § 144 vor. Besteht neben dem Erstattungsanspruch die Möglichkeit, die in der Zahlung liegende Rechtshandlung nach den §§ 129 ff. InsO anzufechten, besteht ein durch das Interesse der Masse präjudiziertes Wahlrecht des Insolvenzverwalters, ob er den Geschäftsführer oder den Leistungsempfänger in Anspruch nehmen möchte. Mithin handelte es sich um zwei funktional gleichwertige Ansprüche mit Vorwirkung im Hinblick auf das Insolvenzverfahren; § 64 Satz 1 GmbHG a.F. war ferner insoweit komplementär zur Insolvenzverschleppungshaftung, als er auch innerhalb der Antragsfrist bereits Anwendung fand. Der insolvenzrechtliche Gehalt war daher schon für § 64 Satz 1 GmbHG a.F. "mit Händen zu greifen". Die Zuordnung des einen zum Gesellschafts- und des anderen zum Insolvenzrecht – vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. m EuInsVO – hätte sich als willkürlich erwiesen. Im Wege der Qualifikation war der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG a.F. daher dem Insolvenzstatut zuzuweisen. Bestätigung fand die insolvenzrechtliche Qualifikation zumindest mittelbar auch mit dem Urteil des EuGH in Sachen Kornhaas.
Rz. 189
Durch das zum 1.1.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrecht (SanInsFoG) wurde die Regelung in § 64 GmbHG gestrichen und durch eine rechtsformunabhängige Regelung in § 15b InsO ersetzt. Die "für die Praxis mit Abstand wichtigste Anspruchsgrundlage der organschaftlichen Haftung in der Insolvenz" findet sich daher fortan in der Insolvenzordnung. In § 15b Abs. 1 S. 1 InsO wurde das Verbot für Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person nunmehr ausdrücklich kodifiziert. Dabei richtet sich das Zahlungsverbot rechtsformunabhängig an alle nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person. Die mit § 64 S. 2 GmbHG a.F. normierte Ausnahme für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, findet sich in § 15b Abs. 1 S. 2 InsO wieder und wird durch § 15 Abs. 2, 3 InsO konkretisiert. Demnach gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, vorbehaltlich des Abs. 3 als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, § 15b Abs. 2 S. 1 InsO. Eingeschränkt wird dies nach S. 2 für den für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitraum, für welchen dies nur gilt, solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben. Entsprechend § 15b Abs. 2 S. 3 InsO wiederum gelten Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Antragstellung und Verfahrenseröffnung auch dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden. Anderes gilt in der Regel für Zahlungen nach Verstreichenlassen des Zeitpunkts für eine rechtzeitige Antragsstellung, § 15b Abs. 3 InsO. Die Rechtsfolge bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot bestimmt § 15b Abs. 4 S. 1 und 2 InsO, wonach die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet sind; die Ersatzpflicht sich jedoch nunmehr, wenn der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden ist, auf den Ausgleich dieses Schadens beschränkt. Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs ist künftig zwischen Zah...