Florian Kienle, Pius Dolzer
1. Begriff und Voraussetzungen
Rz. 131
Neben dem Hauptverfahren sieht die EuInsVO die Möglichkeiten eines Sekundär- oder Partikularverfahrens vor. Beide gleichen sich in ihrer territorial begrenzten Wirkung auf das im Staat des Nebenverfahrens belegene Schuldnervermögen mit der Folge der Entstehung zweier getrennter (Teil-)Vermögensmassen; aufgrund der territorialen Begrenzung erfasst etwa eine im Rahmen des Hauptverfahrens erteilte Restschuldbefreiung die im Rahmen eines Nebenverfahrens angemeldeten Forderungen nicht. Während ein Sekundärverfahren gem. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO per definitionem erfordert, dass ein Hauptverfahren bereits eröffnet wurde, kann ein Partikularverfahren nach Art. 3 Abs. 4 EuInsVO unabhängig von der Eröffnung eines Hauptverfahrens betrieben werden. Beide Verfahren unterliegen gewissen Einschränkungen. Bei einem Sekundärverfahren musste es sich noch nach Geltung der EuInsVO 2000 zwingend um ein Liquidationsverfahren handeln, hiervon wurde jedoch im Zuge der Neufassung Abstand genommen, um eine erfolgreiche Restrukturierung zu erleichtern. Diesem Anliegen trägt auch Art. 47 Abs. 1 EuInsVO Rechnung, wonach der Hauptverwalter einen Sanierungsplan, Vergleich oder eine andere vergleichbare Maßnahme für das Sekundärverfahren vorschlagen kann. Ferner kann das Gericht auf Antrag des Hauptverwalters gar ein von der ursprünglich beantragten Art des Insolvenzverfahrens abweichendes Verfahren nach Anhang A eröffnen, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind und es den Interessen der lokalen Gläubiger sowie der Kohärenz zwischen Haupt- und Sekundärverfahren am geeignetsten Rechnung trägt, Art. 38 Abs. 4 EuInsVO.
Die Eröffnung eines Partikularverfahrens ist dagegen auf die Fälle beschränkt, in denen
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entweder die Eröffnung eines Hauptverfahrens in dem Staat des Interessenmittelpunktes nach dortigem Recht nicht möglich ist (Art. 3 Abs. 4 lit. a EuInsVO), wofür alleine das Fehlen eines Antragsrechts für bestimmte Personen – etwa eine Behörde – nicht ausreicht, sofern grundsätzlich ein Hauptverfahren dort vorgesehen ist (siehe Rdn 145); Gleiches gilt für den Fall der bloßen Untätigkeit des ausländischen Verwalters des Hauptverfahrens; |
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oder die Eröffnung entweder von einem Gläubiger beantragt wird, dessen Forderung sich aus dem Betrieb einer Niederlassung ergibt oder damit im Zusammenhang steht, die sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats befindet, in dem die Eröffnung des Partikularverfahrens beantragt wird (Art. 3 Abs. 4 lit. b lit. i EuInsVO); |
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oder die Eröffnung des Partikularverfahrens von einer Behörde beantragt wird, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich die Niederlassung befindet, das Recht hat, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen (Art. 3 Abs. 4 lit. b lit. ii EuInsVO). |
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Mit Eröffnung des Hauptverfahrens wandelt sich ein zunächst eröffnetes Partikularverfahren automatisch in ein Sekundärverfahren (Art. 50, 51 EuInsVO). |
Auch im Rahmen eines Nebenverfahrens kommen die Ansprüche aus § 64 Satz 1, 3 GmbHG a.F. (nun in § 15b InsO) (siehe Rdn 188 ff.) in Betracht, soweit sich die betreffenden Handlungen auf die dem Nebenverfahren unterliegende Teilvermögensmasse bezogen haben. Wie der BGH jüngst entschieden hat, steht die Befugnis zur Insolvenzanfechtung nach Beendigung eines Sekundärverfahrens, dessen Verwalter grundsätzlich anfechtungsbefugt gewesen wäre, wieder uneingeschränkt dem Hauptverwalter zu, nachdem die universelle Wirkung des Hauptverfahrens ausweislich der Bestimmung des Art. 20 Abs. 1 EuInsVO ("solange") während der Dauer des Sekundärverfahrens nur überlagert wurde.
2. Eröffnungszuständigkeit bei inländischer Niederlassung
Rz. 132
Gemeinsame Voraussetzung beider Nebenverfahren ist gem. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, dass der Schuldner eine Niederlassung in dem Gebiet des Mitgliedstaates hat, in dem das Nebenverfahren eröffnet wird. Als Niederlassung definiert Art. 2 Nr. 10 EuInsVO jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht nur vorübergehender Art nachgeht oder in den drei Monaten vor ...