Rz. 192

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) vom 22.12.2020 verfolgte der Gesetzgeber einen Dreiklang: zum einen setzte er die RL (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen um; zum zweiten erforderten die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie vorübergehende Anpassungen an die durch die Krisenfolgen geprägte Sondersituation; zum dritten gab schließlich die Evaluation des ESUG Anlass zum Handeln.[547] Kern des SanInsFoG bildet das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), welches mit Art. 1 SanInsFoG eingeführt wurde.[548] Das StaRUG schafft ein modernes Sanierungs- und Restrukturierungsrecht, das schon vor dem eigentlichen Zeitpunkt der Insolvenz anknüpft und diese zu verhindern sucht. Zwischen den Bereichen der freien, auf dem Konsens aller Beteiligten beruhenden Sanierung auf der einen Seite und der streng verfahrensgebundenen Sanierung im Insolvenzverfahren auf der anderen, versucht es sich als Lückenschließer.[549] Der Gesetzgeber kommt so der Forderung der Richtlinie zur vorinsolvenzlichen Sanierung nach Einführung von verfahrensrechtlichen Hilfsangeboten für sanierungswillige Unternehmensträger nach, die ein von der Mehrheit der Gläubiger unterstütztes Sanierungskonzept gegen den Widerstand von opponierenden Gläubigern um- und durchsetzen wollen.[550]

 

Rz. 193

Die fortan zur Abwehr einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 Abs. 2 InsO zur Verfügung stehenden Instrumente eines Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens enthält § 29 Abs. 2 StaRUG.[551] Es sind dies die gerichtliche Planabstimmung, Vorprüfung, Stabilisierung und Planbestätigung. Die gestaltbaren Rechtsverhältnisse ergeben sich aus § 2 StaRUG. Dabei sind auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen nach Maßgabe der §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 StaRUG denkbar, insb. Maßnahmen der Kapitalerhöhung bzw. -herabsetzung, die Leistung von Sacheinlagen, der Bezugsrechteausschluss, die Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten sowie im Übrigen jede Regelung, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist.[552] Die für die Haftung maßgebenden Vorschriften finden sich insb. in den §§ 32, 42, 43 StaRUG. Die §§ 276a Abs. 2 und 3 InsO regeln die Haftung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung.[553] Abzuwarten bleibt die Rechtsprechung zu einer möglichen Insolvenzverschleppungshaftung in Form der Anzeigeverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 42 StaRUG.[554] Zwar ruht nach § 42 Abs. 1 S. 1 StaRUG während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Antragspflicht nach § 15a Abs. 13 InsO.[555] Allerdings sind die Antragspflichtigen verpflichtet, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 InsO oder einer Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen, § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehenen weitreichenden Regelungen der §§ 2, 3, 45 StaRUG-RegE (namentlich der sog. "shift of fiduciary duties") wurden hingegen nach lauten Aufrufen wieder gestrichen.[556]

 

Rz. 194

Forschungs- und Diskussionsstand zum Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht hinsichtlich des StaRUG stecken, mit den damit verbundenen Rechtsunsicherheiten, noch in den Kinderschuhen.[557] Der Gesetzgeber des StaRUG, so scheint es, hatte nur rein inländische Fallkonstellationen vor Augen.[558] Das bildet freilich die Realität nur in Ausschnitten ab. Dass § 2 StaRUG von gestaltbaren Rechtsverhältnissen spricht, ungeachtet welches Recht auf die jeweiligen Restrukturierungsforderungen anzuwenden ist, kommentiert namentlich Skauradszun als "kurios".[559] Tatsächlich besteht gegenwärtig weder ein eigenständiges "Internationales Restrukturierungsrecht" noch ein der lex fori concursus vergleichbares allgemeines Prinzip.[560] Es kann daher nicht schon schlicht das Recht des Ortes Anwendung finden, an dem das Restrukturierungsverfahren betrieben wird.[561] Auch die Anwendung des Art. 7 EuInsVO kommt nicht in Betracht. Anderes gilt erst und allein für öffentliche Restrukturierungsverfahren i.S.v. § 84 StaRUG, wenn diese in Anhang A der EuInsVO aufgenommen wurden und die Regelungen der §§ 84 ff. StaRUG am 17.7.2022 in Kraft getreten sind (vgl. Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 SanInsFoG).[562] Im Übrigen, namentlich für vertrauliche Restrukturierungsvorhaben, bedarf es der jeweiligen kollisionsrechtlichen Bestimmung im Einzelfall.[563] Die EuInsVO ist hierauf nicht, auch nicht analog anzuwenden.[564] Vorgeschlagen wird aber eine analoge Anwendung des § 335 InsO.[565] Das erscheint sachgerecht. Bejaht man eine planwidrige Regelungslücke, spricht für eine vergleichbare Interessenlage insb. die Nähe des Restrukturierungs- zum Insolvenzrecht, ungeachtet des Umstands, dass hier nicht schon wie dort die Gläubiger in der Insolvenz möglichst gleichmäßig befriedigt, sondern eine Insolvenz schon per se vermieden und das sog. holdout problem gelöst werden soll.[566...

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