Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 152
Nach dem bereits eingangs dargestellten Gleichlaufgrundsatz untersteht das Insolvenzverfahren der lex fori concursus, i.e. dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates. Dies ist die zentrale Aussage von Art. 7 Abs. 1 EuInsVO, wonach, soweit nichts anderes bestimmt, für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates gilt, in dem das Verfahren eröffnet wird. Nach verbreiteter Auffassung ist das in Art. 7 EuInsVO umschriebene Insolvenzstatut im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes durch kollisionsrechtlich einheitliche Behandlung aller Gläubiger möglichst weit zu fassen. Qualifikationszweifel sollen zugunsten des Insolvenzstatuts aufzulösen sein. Erwägungsgrund (66) der Verordnung spricht gar umfassend vom Insolvenzbereich.
1. Reichweite des Insolvenzstatuts
Rz. 153
Der Gang des Insolvenzverfahrens, d.h. die Insolvenzverfahrensregeln, ist zentraler Bestandteil des Insolvenzstatuts. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO regelt das Recht des Eröffnungsstaates, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, wie es durchzuführen und zu beenden ist. Diese generalklauselartige Umschreibung wird flankiert durch die nicht abschließende Aufzählung des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. a–m EuInsVO von verschiedenen Regelungsmaterien, die der lex fori concursus unterfallen. Die in der Aufzählung enthaltenen Gegenstände erfahren ihrerseits Durchbrechungen durch die jeweils speziellen Bestimmungen der Verordnung.
Rz. 154
Nach Art. 7 Abs. 2 EuInsVO ist neben den schon erörterten Aspekten der Insolvenzfähigkeit (lit. a) das Insolvenzstatut maßgeblich dafür, welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie nach der Eröffnung erworbene Gegenstände zu behandeln sind (lit. b), vorbehaltlich der Sonderregelungen in Art. 8 ff. EuInsVO. Die Regelungskompetenz umfasst ferner die Befugnisse des Schuldners und des Insolvenzverwalters (lit. c). Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vor einem deutschen Gericht geht damit gem. § 80 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Auch die Klagebefugnisse nach Art des § 92 InsO sind hiervon erfasst. Ferner rechnen hierzu auch die Vorschriften über die Eigenverwaltung gem. §§ 270 ff. InsO. Dem Insolvenzstatut unterstehen vorbehaltlich der Sonderregelung in Art. 9 EuInsVO ferner die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Aufrechnung (lit. d) und die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge des Schuldners (lit. e). Die Auswirkungen einer Insolvenzeröffnung auf laufende Verträge unterscheiden sich innerhalb der Mitgliedstaaten stark voneinander. Das deutsche Recht gibt dem Insolvenzverwalter in § 103 InsO vorbehaltlich der Sonderregelungen in §§ 106 ff. InsO ein Wahlrecht, die Erfüllung zu verlangen oder abzulehnen, während andere Rechtsordnungen ähnliche Wirkungen über ein Rücktrittsrecht bewirken; für die Gegenleistung einer teilbaren Leistung hält § 105 InsO eine anderen Rechtsordnungen unbekannte Differenzierung vor. Ferner bemessen sich nach dem Insolvenzstatut die Auswirkungen der Eröffnung auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger (lit. f; siehe auch Rdn 109), welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung entstehen (lit. g), die Anmeldung, Prüfung und Feststellung von Forderungen (lit. h), die Erlösverteilung, der Rang von Forderungen sowie die Rechte, die nach der Eröffnung aufgrund eines dinglichen Rechts erworben oder durch Aufrechnung teilweise befriedigt wurden (lit. i), die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich (lit. j), die Rechte der Gläubiger nach Beendigung des Verfahrens (lit. k), die Pflicht zur Kostentragung (lit. l) und schließlich, welche Rechtshandlungen aufgrund einer Benachteiligung der Gläubigergesamtheit nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind (lit. m).
Rz. 155
Das Vertrauen dinglich gesicherter Gläubiger schützt Art. 8 EuInsVO durch eine Ausnahme von der generellen Geltung der lex fori concursus, sofern das (bewegliche) Sicherungsgut nicht im Eröffnungsstaat belegen ist. Entstehung, Existenz und Durchsetzung richten sich vielmehr nach dem allgemeinen Kollisionsrecht, aus deutscher Sicht mithin nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB (lex rei sitae). Nicht geschützt ist der Inhaber des Sicherungsrechts aber vor einer Beeinträchtigung der gesicherten Forderung im Rahmen des Insolvenzverfahrens und deren Auswirkung auf das (u.U. akzessorische) Sicherungsrecht. Als weitere Sonderregeln sind Art. 9 EuInsVO für die Aufrechnung, Art. 10 EuInsVO für den Eigentumsvorbehalt, Art. 13 für Arbeitsverhältnisse, Art. 16 EuInsVO für den Schutz gutgläubiger Geschäftspartner und Art. 17 EuInsVO für den gutgläubigen Erwerb von registermäßig erfassten Gegenständen zu erwähnen. Insbesondere Art. 16 EuInsVO kann fü...