Rz. 157
Zitat
SGB X § 116 Abs. 6 a.F.; VVG § 116 Abs. 1; BGB § 426 Abs. 1
Dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des schädigenden Fahrzeugführers auf den Sozialversicherungsträger stand auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 116 Abs. 1 VVG das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X aF entgegen.
Der Anspruch gegen den nicht dem Familienprivileg unterfallenden Fahrzeughalter konnte vom Sozialversicherungsträger nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer aufgrund seiner Akzessorietät nicht geltend gemacht werden, weil im Innenverhältnis zwischen Halter und Fahrzeugführer der letztere allein für die Unfallfolgen einzustehen hatte.
a) Der Fall
Rz. 158
Die Klägerinnen, eine gesetzliche Krankenversicherung und eine Pflegekasse, nahmen den beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht ihres Versicherten J. auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch.
Rz. 159
Der zum damaligen Zeitpunkt 1 ½-jährige J. saß am 15.2.2016 als Beifahrer in einem von seiner Mutter gelenkten Pkw, dessen Halterin seine Großmutter und dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte war. Das Fahrzeug geriet bei einem Bremsvorgang ins Schleudern, die Fahrerin verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und es kam zu einer frontalen Kollision mit einem entgegenkommenden Lkw. Der Unfall ist von der Fahrerin allein verursacht worden. J. wurde dabei sehr schwer verletzt. Zum Unfallzeitpunkt lebte er in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Mutter.
Rz. 160
Die Klägerinnen haben Leistungen, insbesondere Krankenhausbehandlungen und Pflege, für J. erbracht und sind der Auffassung, dass das Angehörigenprivileg des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X a.F. und die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld einem Übergang des Direktanspruchs des J. gegen den Unfallhaftpflichtversicherer gemäß § 116 Abs. 1 SGB X wegen § 116 Abs. 1 VVG nicht entgegenstünden.
Rz. 161
Das OLG hat der Leistungs- und Feststellungsklage im Wesentlichen stattgegeben.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 162
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.
Rz. 163
Das Berufungsgericht hatte allerdings zu Recht angenommen, dass dem geschädigten Kind J. Schadensersatzansprüche gegen die Mutter als Fahrerin aus § 823 Abs. 1 BGB, § 18 Abs. 1 StVG, gegen die Großmutter als Halterin aus § 7 Abs. 1 StVG und der Direktanspruch aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG gegen den Unfallhaftpflichtversicherer erwachsen sind.
Rz. 164
Das Berufungsgericht ging auch zutreffend davon aus, dass nach § 116 Abs. 6 SGB X a.F. der Übergang des Anspruchs gegen die Mutter des J. auf die Klägerinnen ausgeschlossen war, da er mit dieser zum Unfallzeitpunkt in häuslicher Gemeinschaft lebte.
Nach § 116 Abs. 6 SGB X a.F. war bis zum 31.12.2020 ein Anspruchsübergang auf einen Versicherungsträger gemäß § 116 Abs. 1 SGB X bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft leben, ausgeschlossen.
In der Folge geht auch der Direktanspruch gegen den Versicherer aus § 115 Abs. 1 VVG, soweit er auf den Schadensersatzanspruch gegen die Fahrerin aus § 18 Abs. 1 StVG bezogen ist, nicht auf die Klägerinnen über.
Rz. 165
Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats zur alten Rechtslage gilt die Sperre des Übergangs der Forderung auf den Sozialversicherungsträger nicht nur für den gegen den Familienangehörigen gerichteten Schadensersatzanspruch, sondern auch für den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer. Daran hält der Senat trotz kritischer Stimmen in der Literatur für die alte Rechtslage fest.
Rz. 166
Einem getrennten, vom Haftpflichtanspruch losgelösten Übergang des Direktanspruchs auf den Sozialversicherungsträger steht aber die Rechtsnatur des Direktanspruchs als akzessorisches Recht entgegen.
Rz. 167
Angesichts des klaren Wortlauts des § 116 Abs. 6 SGB X a.F. und der Tatsache, dass die Ausgestaltung der Wirkungen des Familienprivilegs vor dem 31.12.2020 nur im Versicherungsvertragsrecht, nicht aber im Sozialversicherungsrecht eine Änderung erfahren hatte, ist eine Übertragung des diesbezüglichen Regelungsgehalts des § 86 Abs. 3 VVG n.F. auf § 116 SGB X a.F. im Wege der Auslegung oder Analogie ausgeschlossen.
Rz. 168
Zutreffend ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass einem Übergang des Anspruchs aus Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG gegen die Halterin § 116 Abs. 6 SGB X a.F. nicht entgegenstand, da der Geschädigte mit seiner Großmutter nicht in häuslicher Gemeinschaft lebte. Der Schadensersatzanspruch des J. gegen die Halterin bzw. der diesem akzessorische Direktanspruch aus § 115 Abs. 1 VVG konnte nach dem Übergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerinnen von diesen gegenüber der Beklagten jedoch nach den Grundsätzen der sogenannten gestörten Gesamtschuld nicht geltend gemacht werden.
Rz. 169
Als Halterin des unfallverursachenden Kraftfahrzeuges war die Großmutter des Geschädigten gru...