Florian Enzensberger, Maximilian Maar
Rz. 30
Auch beim Testament der Patchworkfamilie sollte der Berater die Möglichkeit, dem überlebenden Ehegatten eine Änderungsbefugnis hinsichtlich der Verfügungen auf sein Ableben einzuräumen, unbedingt bedenken.
aa) Änderungsvorbehalt beim Erbvertrag
Rz. 31
Obschon im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, kann aufgrund der Vertragsfreiheit die vertragsmäßige Bindung im Erbvertrag ausdrücklich oder stillschweigend durch den Vorbehalt des Rechts eingeschränkt oder gelockert werden. Dadurch wird den Vertragschließenden die Option eingeräumt, die betreffenden erbvertraglich bindenden letztwilligen Verfügungen einseitig abzuändern.
Es ist unstreitig, dass der Änderungsvorbehalt den Vertragscharakter der letztwilligen Verfügungen der Vertragschließenden nicht gänzlich beseitigen darf. Man spricht insoweit vom "Verbot des Totalabänderungsvorbehalts". Trotz Ausübung des Abänderungsvorbehalts muss wenigstens eine erbvertragliche Bindung weiter bestehen. Die Grenzen eines solchen Abänderungsvorbehalts sind allerdings strittig:
Der BGH nimmt eine Gesamtbetrachtung des Erbvertrags vor und verlangt, dass mindestens eine vertragsmäßige Verfügung nicht von dem Änderungsvorbehalt betroffen ist, sondern für den Erblasser verbindlich bleibt, da ansonsten der Vertrag seines eigentlichen Wesens entkleidet würde.
Beim Ehegattenerbvertrag genügt es, wenn die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten bindend ist. Die Vereinbarung über die Erbfolge nach dem letztversterbenden Ehegatten kann umfassend unter den Änderungsvorbehalt gestellt werden.
Das Verbot des Totaländerungsvorbehalts steht dem nicht entgegen, da die gegenseitige Erbeinsetzung vorbehaltlos bindend vereinbart ist.
Das OLG München hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 zum Ausdruck gebracht, dass ein erbvertraglicher Vorbehalt, der es dem Erblasser ermöglichen soll, in bestimmtem Rahmen über die Vergabe seines Nachlasses einseitig und anders als im Erbvertrag vorgesehen zu verfügen, grundsätzlich zulässig ist. Der Vorbehalt darf allerdings nicht so weit gehen, dass damit der Erbvertrag seines eigentlichen Wesens entkleidet würde; es muss eine vertragsmäßige Bindung erhalten bleiben. Das ist nicht nur der Fall, wenn eine vertragsmäßige Verfügung ohne Änderungsvorbehalt bestehen bleibt, sondern auch, wenn die Änderung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich oder inhaltlich beschränkt ist, da auch im letzteren Fall der Erblasser in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt ist.
Nach einer Literaturmeinung soll der Abänderungsvorbehalt immer dann zulässig sein, wenn bei der geforderten einzigen vertragsmäßigen Anordnung die vorbehaltene Abänderungsmöglichkeit wenigstens an genau umgrenzte und bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist, so dass für die Willkür des Erblassers kein Raum bleibt. Man spricht hierbei vom sog. "spezifizierten Abänderungsvorbehalt."
Eine von Musielak vertretene Mindermeinung betrachtet im Gegensatz zum BGH jede einzelne erbvertragliche Bindung gesondert. Demnach soll ein Vorbehalt nur dann zulässig sein, wenn der vom Änderungsvorbehalt nicht erfasste und deshalb bindende Rest von vorneherein gem. § 2278 Abs. 2 BGB zum Inhalt einer eigenen vertragsmäßigen Verfügung gemacht werden könnte. Man spricht insoweit auch von der "Mindermeinung des erbvertraglichen Rests". Musielak beurteilt die Zulässigkeit des Änderungsvorbehalts nicht aus der Sicht des vertragsmäßig Bedachten, sondern vom Standpunkt der Testierfreiheit des Erblassers. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise wird insbesondere beim Ehegattenerbvertrag mit Schlusserbeneinsetzung deutlich. Hier sind die Schlusserben nicht die Vertragschließenden, sondern lediglich die Vertragsbegünstigten. Ein vertraglicher Vertrauensschutz kann vor dem Schlusserbfall nur zwischen den Vertragschließenden bestehen. Die Mindermeinung wird in der Literatur zum Teil als dogmatisch willkürlich und praxisfern bezeichnet.
Praxishinweis
Bei der Gestaltung von Änderungsvorbehalten sollte sicherheitshalber darauf geachtet werden, dass der Erbvertrag mindestens eine vom Änderungsvorbehalt nicht erfasste Verfügung enthält. Voraussetzungen und Reichweite des Änderungsvorbehalts sollten klar und unmissverständlich umrissen werden. Bei einem Erbvertrag unter Eheleuten reicht bereits die gegenseitige Erbeinsetzung auf den ersten Todesfall für eine wirksame Gestaltung. Die Verfügungen auf den zweiten Todesfall sind in vollem Umfang vorbehaltsfähig.