Florian Enzensberger, Maximilian Maar
Rz. 79
Pflicht- und Anstandsschenkungen gem. § 2330 BGB unterliegen nicht der Pflichtteilsergänzung, weil ihnen eine moralische Verpflichtung zugrunde liegt.
Zu Anstandsschenkungen zählen kleinere Zuwendungen zu bestimmten Tagen, wie Geburtstag, Weihnachten, Ostern etc., oder zu besonderen Anlässen, wie Hochzeit, Geburt oder Abitur usw. Bei Beurteilung der Frage, ob eine Anstandsschenkung vorliegt oder nicht, spielen die örtlichen und gesellschaftlichen Verkehrssitten und natürlich die Umstände des konkreten Einzelfalls eine wichtige Rolle. Für eine Anstandsschenkung spricht, dass der Erblasser bei Unterlassen derselben einen Achtungsverlust in seinem sozialen Umfeld erleiden würde.
Praxishinweis
Größere Vermögensanteile können mittels einer Anstandsschenkung unter Umgehung der Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht übertragen werden.
Im Gegensatz hierzu können Pflichtschenkungen einen erheblichen Wert haben und den Nachlass aushöhlen. Dabei ist allerdings stets eine Interessenabwägung zur sittlichen Pflicht, den Pflichtteilsanspruch nicht auszuzehren, vorzunehmen. Eine Pflichtschenkung unterliegt der Pflichtteilsergänzung nur dann nicht, wenn sie sittlich geboten war. Die Beantwortung dieser Frage richtet sich wiederum nach den Umständen des Einzelfalls, wobei insbesondere die Vermögensverhältnisse des Erblassers, seine persönliche Beziehung zum Beschenkten, aber auch Leistungen, die der Bedachte für den Erblasser erbracht hat, zu berücksichtigen sind. Für die Beurteilung der Frage ist auf den Zeitpunkt der Schenkung bzw. des Schenkungsvollzugs abzustellen und nicht auf den Erbfall.
Rz. 80
In einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 musste sich das OLG Koblenz mit der Frage beschäftigen, ob es sich bei Zahlungen des Erblassers für einen Hausbau und bei Prämienzahlungen der letzten 10 Jahre auf eine der Ehefrau zugewandten Lebensversicherung um eine Schenkung handelte, die einer sittlichen Pflicht im Rahmen des § 2330 BGB entsprach. Das OLG stellt klar, dass die Absicherung des überlebenden Ehegatten nur dann die Einschränkung des Pflichtteilsrechts naher Angehöriger i.S.d. § 2330 BGB rechtfertigt, wenn diese in einer Weise sittlich geboten war, dass ein Unterlassen der Zuwendung dem Erblasser als Verletzung einer für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre. Hierbei ist maßgeblich auf die Sichtweise abzustellen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung bei einer vorausschauenden Betrachtung haben musste.
Eine sittliche Pflicht wurde in folgenden Fällen bejaht:
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Einräumung des Bezugsrechts aus einer Lebensversicherung zugunsten der unversorgten Ehefrau. |
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Unterhaltszahlungen für nahe Verwandte. |
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Übertragung eines Hausgrundstücks zwecks Existenzsicherung an einen Behinderten. |
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Sicherung des Lebensunterhalts für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. |
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Überlassung einer Immobilie an die Tochter für jahrelange Pflege der Mutter bzw. an die unversorgte Ehefrau nach langjähriger unbezahlter Mitarbeit im Geschäft. |
Der Beschenkte muss beweisen, dass die ihm gegenüber erbrachte Zuwendung der Pflichtteilsergänzung nicht unterliegt.