a) Pflichtteilsentziehung bei Abkömmlingen
aa) Allgemeines
Rz. 381
Grundsätzlich ist es dem Erblasser nicht möglich, seine pflichtteilsberechtigten Verwandten zu übergehen. Das Pflichtteilsrecht unterliegt dem Schutz des Art. 14 GG, was das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt hat. Im Bereich der Pflichtteilsentziehungsgründe wurden erhebliche Veränderungen vorgenommen. Es erfolgte eine Vereinheitlichung der Pflichtteilsentziehungsgründe für Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten.
bb) Entziehung, wenn der Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet
Rz. 382
Der Erblasser kann einem Abkömmling (desgleichen seinem Ehegatten oder einem Elternteil, siehe Rdn 386) den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, seinem eingetragenen Lebenspartner, einem anderen Abkömmling des Erblassers oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet, § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Dies ist dann der Fall, wenn der ernsthafte Wille betätigt wird, den Tod des anderen herbeizuführen, wobei ein einmaliger Versuch genügt. Beharrlichkeit ist nicht erforderlich. Hierbei genügt auch Mittäterschaft, Beihilfe oder Anstiftung, ebenso eine straflose Vorbereitungshandlung oder ein untauglicher Versuch. Entscheidend ist, dass eine ernsthafte Tötungsabsicht vorhanden ist. Die Androhung von Gewalt hingegen stellt noch kein "Nach-dem-Leben-Trachten" dar. Besteht eine Rechtspflicht zum Handeln, kann auch durch Unterlassen nach dem Leben getrachtet werden. Erfolgt ein strafbefreiender Rücktritt i.S.v. § 24 StGB, gerät der bereits entstandene Pflichtteilsentziehungsgrund nicht in Wegfall.
Ein Verschulden im strafrechtlichen Sinn ist nicht erforderlich. Wurde der objektive Unrechtstatbestand "wissentlich und willentlich" verwirklicht, ist dies ausreichend. Natürlicher Vorsatz genügt.
cc) Entziehung, weil sich ein Abkömmling eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB bezeichnete Person schuldig gemacht hat
Rz. 383
Das Gleiche gilt gem. § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn sich der Abkömmling eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB bezeichneten Personen schuldig gemacht hat. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich. Den Tatbestand des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB können auch Beleidigungsdelikte erfüllen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses vorliegt. Ist eine Strafverfolgung unterblieben, weil der Verletzte keinen Strafantrag gestellt hat, bleibt das Recht zur Pflichtteilsentziehung bestehen. Es kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass der Erblasser dem Abkömmling verziehen hat, nur weil er keinen Strafantrag gestellt hat. Liegt eine strafrechtliche Verurteilung nicht vor, ist es Sache des Zivilrichters, eine Strafprognose zu erstellen.
§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB umfasst auch die Pflichtteilsentziehung wegen einer vorsätzlichen körperlichen Misshandlung. Es ist allerdings umstritten, ob das Vorliegen einer "schweren Pietätsverletzung" weiterhin erforderlich ist.
Wurde in Notwehr gehandelt, liegt ein Pflichtteilsentziehungsgrund nicht vor. Der Tatbestand ist auch dann nicht erfüllt, wenn eine Putativnotwehr oder ein Notwehrexzess (§ 33 StGB) ohne Verschulden vorlag. Hat der Pflichtteilsberechtigte die Notwehrlage jedoch schuldhaft dadurch herbeigeführt, dass er den Erblasser gereizt hat, kann er sich nicht auf Notwehr berufen.
dd) Entziehung wegen böswilliger Verletzung der Unterhaltspflicht
Rz. 384
Als weiteren Entziehungsgrund nennt § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB die böswillige Verletzung der dem Abkömmling dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht. Voraussetzung für die Entziehung ist die Bedürftigkeit des Erblassers, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten, die Kenntnis von der Bedürftigkeit des Erblassers sowie die böswillige Verweigerung des Unterhalts aus verwerflichen Gründen. Unterlässt der Abkömmling bzw. verweigert er Pflegeleistungen im Alter bzw. im Krankheitsfall, ist dies nicht tatbestandsmäßig. Unterhaltsleistungen sind grundsätzlich in Geld zu erbringen. Solange der Abkömmling zwar nicht die notwendige tatsächliche Pflege erbringt, dem Erblasser jedoch die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, verletzt er seine Unterhaltspflicht demgemäß nicht.