Rz. 45
Unter dem Stichwort "Vorempfänge" hat der Anwalt zu erfragen, welche lebzeitigen Zuwendungen der Mandant bzw. der Erblasser und sein evtl. vorverstorbener Ehegatte an seine Abkömmlinge, an seinen Ehegatten oder an Dritte vorgenommen hat. Für die erbrechtliche Beratung sind diese einerseits im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen relevant, wenn es sich um Schenkungen handelte, andererseits spielen die Vorempfänge bei der Ausgleichung unter Abkömmlingen eine Rolle, wenn sie kraft Gesetzes oder durch ausdrückliche Anordnung des Erblassers ausgleichspflichtig sind. Schließlich ist bei der Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen ein Vorempfang nach den §§ 2315, 2316 BGB zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist auch die Vorschrift des § 2327 BGB zu beachten.
Rz. 46
Für die einzelnen Rechtsfolgen ist insoweit die Art des Vorempfangs festzustellen, ob es sich beispielsweise um eine Ausstattung, um eine sonstige nach §§ 2050 ff. BGB ausgleichspflichtige Zuwendung handelt oder ob gar eine Schenkung, eine gemischte Schenkung oder eine insgesamt entgeltliche Zuwendung oder auch eine ehebezogene Zuwendung unter Ehegatten vorliegt. Im Erbrecht werden ehebezogene Zuwendungen bei Vorliegen einer objektiven Unentgeltlichkeit grundsätzlich wie Schenkungen behandelt und unterliegen daher der Pflichtteilsergänzung. Auf die subjektive Ansicht der Parteien soll es nicht ankommen. Auch nach Ansicht des BFH handelt es sich bei der ehebedingten Zuwendung schenkungsteuerrechtlich um eine freigebige Zuwendung i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Aufgrund dessen hat der Gesetzgeber eine eng begrenzte Steuerbefreiung für Ehegattenzuwendungen in Bezug auf das zu eigenen Wohnzwecken genutzte Familienwohnheim geschaffen, § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG.
Eine objektive Unentgeltlichkeit liegt hingegen nicht vor, wenn die Zuwendung unter Ehegatten nach den konkreten Lebensverhältnissen eine angemessene Altersvorsorge darstellt oder wenn sie unterhaltsrechtlich geschuldet ist. In diesem Falle liegt keine Schenkung i.S.v. §§ 2325, 2329 BGB vor. Handelt es sich bei der Zuwendung um eine nachträgliche Vergütung langjähriger Dienste, dürfte ebenfalls nicht von einer Schenkung auszugehen sein, es sei denn, Leistung und Gegenleistung stehen in einem großen Missverhältnis.
Rz. 47
Darüber hinaus ist auch festzustellen, von wem der Vorempfang stammt. Grundsätzlich sind immer nur die Vorempfänge des direkten Erblassers zur Ausgleichung zu bringen. Haben die Ehegatten jedoch ein Berliner Testament errichtet und ihre Kinder zu Schlusserben berufen, so gilt im Rahmen der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB der sog. erweiterte Erblasserbegriff. Danach sind auch diejenigen Vorempfänge auszugleichen, die der jeweilige Abkömmling vom Erstverstorbenen erhalten hat. Zu beachten ist, dass der erweiterte Erblasserbegriff nicht bei der Berechnung des Pflichtteils nach §§ 2315 und 2316 BGB gilt.
Rz. 48
Für die Ermittlung der Vorempfänge ist im Einzelnen nach folgendem Schema vorzugehen:
Schema der Vorempfänge
Art des Empfangs
Vorliegen einer Ausgleichsanordnung
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schriftlich |
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mündlich |
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Zeitpunkt |
Vorliegen einer Anrechnungsanordnung auf den Pflichtteil
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schriftlich |
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mündlich |
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Zeitpunkt |
Ist der Vorempfang ergänzungspflichtig i.S.d. § 2325 BGB?
▪ |
objektive und subjektive Bewertung |
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vorbehaltene Rechte |
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Zeitpunkt der Schenkung |
Rz. 49
Damit die Abkömmlinge des Erblassers die Möglichkeit haben, das ihnen zustehende Recht der Ausgleichung auch geltend machen zu können, steht ihnen ein besonderer Auskunftsanspruch nach § 2057 BGB zu (vgl. Muster zum Auskunftsbegehren § 17 Rdn 224). Gemäß § 2057 BGB ist jeder der Beteiligten verpflichtet, Auskunft über Zuwendungen zu geben, die nach den §§ 2050 ff. BGB ausgleichspflichtig sein könnten. Auskunftsberechtigt sind nur Abkömmlinge, die gesetzliche Erben sind oder die i.S.v. § 2052 BGB testamentarisch auf ihre gesetzliche Erbquote eingesetzt wurden.
Rz. 50
Der Auskunftsanspruch steht aber auch demjenigen pflichtteilsberechtigten Abkömmling zu, der nicht Erbe geworden ist, da dieser für die Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs nach § 2316 BGB ebenso auf die Kenntnis von Vorempfängen angewiesen ist. Darüber hinaus hat auch der Testamentsvollstrecker, der mit der Auseinandersetzung beauftragt ist, Anspruch auf Auskunftserteilung gem. § 2057 BGB, desgleichen der nichteheliche Abkömmling. Auch der Nachlass- und Insolvenzverwalter hat bei Vorliegen eines besonderen Interesses zur Klarstellung des Erbteilswerts Anspruch auf Auskunftserteilung, um darauf lastende Verbindlichkeiten erfüllen zu können.
Rz. 51
Jeder Miterbe, der zu den ausgleichspflichtigen Personen gehört, und jeder pflichtteilsberechtigte Abkömmling ist auskunftspflichtig hinsichtlich aller möglicherw...