Rz. 428
Sinn und Zweck des Ehegattentestaments ist es, dass die gemeinschaftlichen Verfügungen wechselbezüglich angeordnet werden und dass diese dann nach dem Tod des Erstversterbenden gem. § 2271 Abs. 2 BGB ganz oder teilweise Bindungswirkung entfalten. Eine Bindungswirkung kann jedoch nur hinsichtlich der sog. wechselbezüglichen Verfügungen entstehen. Gemäß § 2270 Abs. 3 BGB beschränkt sich eine mögliche Wechselbezüglichkeit auf die Erbeinsetzung, die Vermächtnisse, Auflagen sowie die Rechtswahl. Die Anordnung einer nicht wertverschiebenden Teilungsanordnung, die Enterbung, die Pflichtteilsentziehung sowie die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers können daher nicht wechselbezüglich sein. Die nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung bzw. die Anordnung der Erweiterung von dessen Befugnissen stellt nach h.M. eine Beeinträchtigung der Schlusserbenstellung dar.
Rz. 429
Wechselbezüglichkeit bedeutet, dass es sich in ihrer Gültigkeit um voneinander abhängige Verfügungen handelt, d.h. dass jede Verfügung für sich nur mit Rücksicht auf die andere Verfügung getroffen worden ist. In diesem Zusammenhang wird von einem zusammenhängenden Motiv gesprochen. Ein Ehepartner hat die Verfügung nur deshalb getroffen, weil der andere Ehegatte auf eine bestimmte Art und Weise verfügt hat. Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB führt dies dazu, dass die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat. Da es sich bei § 2270 Abs. 1 BGB um eine Auslegungsregel handelt, ist es für die testamentarische Gestaltung unabdingbar, diese ausdrücklich zu konkretisieren, damit es durch spätere Auslegung nicht zu einem vom Erblasser abweichenden Willen kommt. Da nur einzelne Verfügungen wechselbezüglich sein können und nicht das gemeinschaftliche Testament insgesamt, ist eine exakte Formulierung im Testament notwendig. Eine generelle Abänderungsmöglichkeit für den überlebenden Ehegatten für den Fall, dass die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben berufen sind, besteht grundsätzlich nicht. In derartigen Fällen wird gerade von einer Wechselbezüglichkeit ausgegangen, wenn es sich um intakte Familienverhältnisse handelt. Wird in das Testament die Formulierung aufgenommen "Der Längstlebende kann über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen", ist nach der Rechtsprechung lediglich von einer lebzeitigen Verfügungsfreiheit auszugehen. Damit sei nicht die Möglichkeit verbunden, eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung abzuändern.
Rz. 430
Im Regelfall wird davon ausgegangen, dass sowohl die Verfügungen des Ehemannes als auch die Verfügungen der Ehefrau wechselbezüglich und bindend sein sollen. Es ist aber auch durchaus möglich, dass sich die Wechselbezüglichkeit nur auf die Verfügungen eines Ehegatten beziehen soll. Eine derartige Gestaltungsvariante wird häufig für den Fall gewählt, dass Vermögen lediglich bei einem Ehegatten vorhanden ist. Dieser hat dann für den Fall, dass er Erstversterbender sein sollte, ein Interesse daran, dass der Überlebende an die getroffenen Verfügungen gebunden ist. Im umgekehrten Fall, d.h. dass der nichtvermögende Ehegatte der Erstversterbende der Eheleute sein sollte, will der Überlebende nicht gebunden sein, da er vom Verstorbenen nichts erhalten hat. In seiner Gestaltungsfreiheit will er dann in der Regel nicht eingeschränkt sein. Sollen die in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen nicht oder nicht alle wechselbezüglich und bindend sein, so ist dies, um die gesetzliche Vermutung des § 2270 BGB nicht eintreten zu lassen, ausdrücklich in der Verfügung zu bestimmen. In Rechtsprechung und Literatur bestand Streit darüber, ob sich die Bindungswirkung auch auf die gem. § 2069 BGB ermittelten Ersatzerben erstreckt. Seitens des BayObLG wurde dies zunächst bejaht. Baumann hingegen vertritt die Auffassung, eine Erstreckung der Bindungswirkung auf die gem. § 2069 BGB ermittelten Ersatzerben könne nur dann bejaht werden, wenn dies dem Willen des Erblassers zu entnehmen sei. Der BGH hat eine Erstreckung der Bindungswirkung auf die Ersatzerben ebenfalls abgelehnt, und zwar für den Fall, dass sich ein entsprechender Wille des Erblassers nicht ermitteln lässt. Dieser Ansicht haben sich auch das BayObLG und weitere Obergerichte sowie die Literatur angeschlossen.
Fragen zur Ersatzerbenberufung bzw. die Frage, ob sich die Wechselbezüglichkeit auch auf Ersatzerbenbestimmungen erstrecken soll, sollten in jedem Falle explizit geregelt werden.
Rz. 431
In der Regel ist davon auszugehen, dass die im Testament getroffenen gegenseitigen Verfügungen zu Lebzeiten beider Ehegatten wechselbezüglich und damit bindend sein sollen, um auszuschließen, dass getroffene Verfügungen durch den anderen Ehepartner heimlich abgeändert werden.
Rz. 432
Im Rahmen der Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung spielt die Frage eines Abänderungsrechts des überlebenden Ehegatten (Freistellungsklauseln) eine große Rolle. In § 2270 Abs. 1 BGB ist ...