a) Rechtliche Grundlagen
Rz. 196
Im Gegensatz zur Vollerbschaft steht die Vor- und Nacherbschaft (vgl. hierzu insgesamt § 14). Der Erblasser kann gem. § 2100 BGB einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe geworden ist. Das bedeutet, dass der Vorerbe den ererbten Nachlass an den als Nacherben bestimmten Erben herauszugeben hat. Die Vor- und Nacherbschaft führt zu einer mehrfachen Beerbung, d.h. zunächst wird der Vorerbe, dann wird der Nacherbe Erbe des Erblassers. Insoweit spricht man auch davon, dass der Vorerbe nur "Erbe auf Zeit" ist. Die Vorerbschaft wird durch den Tod des Erblassers ausgelöst. Zu einem späteren Zeitpunkt, der durch den Erblasser bestimmt wird, tritt der Nacherbfall ein. Für den Fall, dass der Erblasser insoweit keine Verfügungen trifft, tritt der Nacherbfall mit dem Tode des Vorerben ein (§ 2106 BGB). Es ist zu beachten, dass die Einsetzung eines Nacherben gem. § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB nach Ablauf von 30 Jahren nach dem Erbfall regelmäßig unwirksam wird.
Beim Vorerben stellt die Erbschaft Sondervermögen dar. Dieses Sondervermögen ist vom Vorerben getrennt von seinem Eigenvermögen zu verwalten. Grundsätzlich steht dem Nacherben die Substanz und stehen dem Vorerben die Nutzungen zu. Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft kann sich dann anbieten, wenn ein Gläubigerzugriff auf das Erbe vermieden oder Pflichtteilsansprüche reduziert werden sollen.
Rz. 197
Sinn und Zweck des Instituts der Vor- und Nacherbschaft ist die Steuerungsmöglichkeit des Vermögensflusses über mehrere Erbfälle (Generationen) hinweg. Der Erblasser kann so selbst bestimmen, wer nach dem zuerst Bedachten das Vermögen als nächster erhält. Man spricht auch von einer zukünftigen Vermögensbindung bzw. von der Möglichkeit einer Familienbindung des Nachlasses.
Der Erblasser hat damit die Möglichkeit, den Vorerben finanziell abzusichern, seinen eigenen Willen über den Tod hinaus weiter zu verfolgen (d.h. Gestaltungsfunktion) und weiter sein Vermögen über seinen Tod hinaus auf mehrere Generationen zu verteilen und dieses so zu sichern bzw. zu erhalten (Sicherungs- und Erhaltungsfunktion).
Rz. 198
Den Eintritt des Nacherbfalls kann der Erblasser von einem Ereignis abhängig machen oder durch einen Zeitpunkt festlegen. Als Ereignisse kommen z.B. in Betracht:
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Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten |
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Erreichen eines bestimmten Alters des Nacherben |
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Tod des Vorerben. |
Die Bestimmung des Ereignisses oder Zeitpunkts kann aber nicht einem Dritten überlassen werden. Es können auch mehrere Nacherbfolgen bestimmt werden.
Rz. 199
Die Anordnung der Vorerbschaft führt dazu, dass sich bei dem als Vorerbe bestimmten Erben zwei verschiedene Vermögensgruppen bilden. Zum einen das Eigenvermögen des Vorerben und zum anderen das ererbte Vorerbenvermögen als Sondervermögen. Mit Eintritt des Nacherbfalls ist das Sondervermögen an den oder die Nacherben herauszugeben. Ist als Nacherbfall der Tod des Vorerben bestimmt (§ 2106 Abs. 1 BGB), so vererbt sich das Eigenvermögen des Vorerben an die von ihm benannten Bedachten, während das Sondervermögen an die Nacherben fließt. Der Vorerbe hat die Erbschaft ordnungsgemäß zu verwalten, desgleichen die gewöhnlichen Erhaltungsaufwendungen, wie Zinsen, Versicherungen oder Grundsteuer, zu tragen. Die Nutzungen stehen dem Vorerben zu. Die außerordentlichen Lasten darf er aus der Erbschaft bestreiten.
Rz. 200
Durch die Trennung des Vorerbenvermögens vom Eigenvermögen bietet sich die Vor- und Nacherbschaft zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen naher Verwandter an. Haben Eheleute z.B. Kinder aus erster Ehe und will der jeweilige Ehepartner nicht, dass die Kinder des anderen Ehepartners an seinem Nachlass partizipieren, dann können sie anordnen, dass sich die Eheleute jeweils nur zu Vorerben und die Kinder aus der vorangegangenen Ehe als Nacherben einsetzen. Dies gilt gewissermaßen auch für die Pflichtteilsansprüche gemeinsamer Kinder.
Rz. 201
Darüber hinaus kann durch das Institut der Vor- und Nacherbschaft der Nachlass für eine gewisse Dauer einem Vorerben und dann dem eigentlichen Bedachten zugewandt werden, was sich insbesondere dann anbietet, wenn es darum geht, bestimmte Zeiträume zu überbrücken (z.B. weil die Kinder noch minderjährig sind). Gleichfalls dient die Einsetzung eines Nacherben auch dem Schutz vor dem Zugriff von Gläubigern des Vorerben, da diesem zwar grundsätzlich die Nutzungen, nicht aber die Substanz zustehen.
Rz. 202
Der Nachteil der Vor- und Nacherbschaft ist allerdings ihre rechtliche Kompliziertheit, insbesondere aufgrund der diversen Beschränkungen, denen der Vorerbe unterliegt, so dass Konflikte und Streitigkeiten unter den Erben quasi "vorprogrammiert" sind. Im Übrigen bestehen nur begrenzte Befreiungsmöglichkeiten (§ 2136 BGB). Vom Schenkungsverbot bzw. vom Surrogationsgrundsatz kann nicht befreit werden. Darüber hinaus kann die Nacherbenanordnung vom Vorerben nicht mehr abgeändert werden. Eine Umverteilung des Nachlasses durch...