Rz. 77
Da der Erblasser aufgrund seiner Testierfreiheit die Möglichkeit hat, alle seine nächsten Angehörigen zu enterben, sieht das Gesetz in den §§ 2303 ff. BGB für diesen Personenkreis ein Pflichtteilsrecht vor (vgl. hierzu insgesamt § 17). Der Aufnahme eines solchen Pflichtteilsrechts lag letztlich der Gedanke zugrunde, dass dem Erblasser eine über seinen Tod hinausgehende Sorgfaltspflicht gegenüber dem genannten Personenkreis zukommt. Das Pflichtteilsrecht hat seine verfassungsrechtlichen Wurzeln in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG.
Rz. 78
Damit der Erblasser das Pflichtteilsrecht zu Lebzeiten nicht umgehen kann, steht dem Pflichtteilsberechtigten ein sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch zu, wenn der Erblasser zu Lebzeiten (innerhalb von zehn Jahren vor seinem Tod) Schenkungen gemacht hat. Schenkungen werden jedoch gem. § 2325 Abs. 3 BGB lediglich gestaffelt erfasst. Innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall werden sie demgemäß in vollem Umfang, innerhalb jeden weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils 1/10 weniger berücksichtigt.
Rz. 79
Einen weiteren Schutz des Pflichtteils bieten die Vorschriften der Anrechnung und Ausgleichung nach §§ 2315, 2316 BGB, wenn Erbe oder Pflichtteilsberechtigter bereits einen anrechnungspflichtigen Vorempfang erhalten haben. Der Pflichtteilsberechtigte muss sich einen vom Erblasser zu Lebzeiten erhaltenen Vorempfang dann auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen, wenn der Erblasser die Anrechnung im Zeitpunkt der Zuwendung angeordnet hat. Der Pflichtteilsberechtigte soll hierdurch die Möglichkeit haben, die Zuwendung zurückzuweisen. Es besteht die Möglichkeit, dass sich der Erblasser im Zeitpunkt der Zuwendung eine Anrechnung zu einem späteren Zeitpunkt vorbehält. Eine einmal getroffene Anrechnungsbestimmung kann auch durch einseitiges Rechtsgeschäft nachträglich wieder aufgehoben werden. Die Anordnung der Anrechnung nach der Zuwendung, beispielsweise im Wege der letztwilligen Verfügung, ist jedoch nicht möglich. Für den Fall, dass der Empfänger der Zuwendung zu einem späteren Zeitpunkt einen beschränkten Pflichtteilsverzicht dem Erblasser gegenüber abgibt, und zwar in der Form des § 2348 BGB, lässt sich das gleiche Ergebnis erzielen. Die Anrechnungsbestimmung bedarf keiner Form. Sie kann auch stillschweigend bzw. konkludent erfolgen.
Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte einen zu geringen Erbteil (oder Vermächtnis) erhalten hat, gewähren ihm die Vorschriften der §§ 2305–2308 BGB zusätzliche Rechte.
Rz. 80
Für die Testamentsgestaltung sind auch die Pflichtteilsentziehungstatbestände der §§ 2333 ff. BGB von zentraler Bedeutung.