Rz. 87

Demgegenüber bezieht sich der angemessene Wohnwert auf die persönlichen Verhältnisse der Person oder der Personengruppe, die die Wohnung derzeit bewohnt. Basis dieser Bewertung ist die Wohnung, die nach Größe und Ausstattung seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen angemessen ist. Daraus ergibt sich nur ein Wohnvorteil in Höhe der objektiven Miete für eine kleinere, dem ehelichen Standard und den Wohnbedürfnissen des in der Wohnung verbliebenen Beteiligten entsprechende Wohnung, die er sich im Hinblick auf seine aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse hätte anmieten können.[92] Leben im Haushalt Kinder, sind Wohnbedarf und Wohnkosten regelmäßig höher als bei einem Alleinstehenden.[93]

 

Rz. 88

Nach der Trennung bewohnt nur noch ein Ehegatte – ggf. mit den Kindern – die Wohnung. Die Trennung der Eheleute – und der damit verbundene Auszug eines Ehegatten – löst jedoch die gemeinsame Lebensplanung nicht mit sofortiger Wirkung auf. Deshalb kann nicht verlangt werden, dass die Ehewohnung sofort veräußert wird. Denn derjenige Ehepartner, der nach der Trennung noch in der Wohnung verbleibt und die Kosten der Wohnung trägt, handelt ja gerade im Interesse der gesamten Familie, um ggf. auch eine Versöhnung und eine Rückkehr der übrigen Familie in die Ehewohnung überhaupt möglich zu machen.

 

Rz. 89

Während dieser Übergangszeit müssen sich also beide Ehepartner noch an den gemeinsamen getroffenen Dispositionen festhalten lassen und können sich nicht einseitig von den damit verbundenen Belastungen lösen. Bis zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt (dem "Tag X"), ist damit das gemeinsame Eigenheim bzw. die gemeinsame Eigentumswohnung mit all den daraus resultierenden Aktiva und Passiva noch wirtschaftlicher Fakt und kann folglich auch unterhaltsrechtlich nicht ignoriert werden, sondern muss von beiden Ehegatten in gleicher Weise getragen werden.

 

Rz. 90

Während der Trennungszeit wird daher i.d.R. nicht der volle Mietwert angerechnet, sondern nur der nach § 287 ZPO zu schätzende für den in der Wohnung verbliebenen Ehegatten angemessene Nutzungsvorteil,[94] der sich hinsichtlich der Wohnungsgröße als auch der Qualität nach dem Maßstab richtet, den sich die betreffende Person angesichts der individuellen finanziellen Verhältnisse leisten kann. Dieser angemessene Wohnvorteil ist nach § 287 ZPO zu schätzen.

 

Rz. 91

 

Beispiel:

Der unterhaltspflichtige Ehemann lebt alleine in eigenem Haus mit 170 qm Wohnfläche und großem Garten, in dem früher auch noch die 3 Kinder des Ehepaares gelebt haben. Der objektive Mietwert des Hauses nach Abzug der vorhandenen Belastungen (dazu Rdn 97 f.) ist mit 1.400 EUR mtl. (Nettowert) anzusetzen.

Nach seinen aktuellen finanziellen Verhältnissen und den Wohnbedürfnissen für eine einzelne Person wäre eine Wohnung von 60 qm angemessen, für die eine ortsübliche Miete von 450 EUR zu zahlen wäre.

Der objektive Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung) beträgt 1.400 EUR.

Der angemessene Wohnvorteil beträgt lediglich 450 EUR.

 

Praxistipp:

Solange es auf den angemessenen Wohnwert ankommt, hat die tatsächliche Ausstattung der Wohnung keine Bedeutung!
Streitigkeiten über die Ausstattung der Wohnung und die Höhe des auf dem Wohnungsmarkt zu erzielenden Mietpreises sind daher hier irrelevant!
Auch der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des Wohnwertes in Höhe der erzielbaren Miete ist hier überflüssig!

Allein maßgeblich ist die objektive persönliche Situation des in der Wohnung verbliebenen Beteiligten:

wie viele Räume benötigt er für sich (und ggf. die mit ihm zusammenwohnenden Personen)?
welcher Zuschnitt und welche Ausstattung ist angemessen?
wieviel Geld kann er nach seinen aktuellen finanziellen Verhältnissen für seine Wohnung ausgeben?
Hierzu ist anwaltlicher Sachvortrag zur näheren Darlegung der konkreten Umstände des Einzelfalles sinnvoll. Sachgerecht ist es, den örtlichen Mietspiegel vorzulegen.
Der angemessene Wohnwert kann vom Gericht durch Schätzung nach § 287 ZPO festgelegt werden.[95] Ein Sachverständigengutachten ist hierzu nicht erforderlich.
[92] BGH FamRZ 2007, 879, 880 f.
[95] Schürmann in NK-BGB, 2020 Vor §§ 1577, 1578 Rn 108; Kleffmann in Klein, Handbuch des Familienvermögensrechts, 2015, Kap. 11 Rn 87 m.w.N.

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