Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 29
Auch wenn sich der Bedarf nach den immer in der Vergangenheit liegenden ehelichen Lebensverhältnissen richtet, wird in der Praxis in den meisten Fällen vereinfachend der Unterhalt nach einer Quote aus der Differenz der aktuellen beiderseitigen Einkünfte der Ehegatten gebildet (sog. Quotenunterhalt), ohne dass gesondert auf die in der Vergangenheit liegenden Einkommensverhältnisse der ehelichen Lebensverhältnisse eingegangen wird.
Rz. 30
Dieser – im Normalfall akzeptable – vereinfachte Berechnungsweg basiert auf der Prämisse, dass seit dem Ende der ehelichen Lebensverhältnisse auf der Ebene des Bedarfes des unterhaltsberechtigten Ehegatten keine relevanten Veränderungen eingetreten sind. Solange diese Prämisse zutrifft, ist diese Berechnungsweise des Quotenunterhalts nicht zu beanstanden.
Rz. 31
Etwas anderes gilt, wenn seit dem Ende der ehelichen Lebensverhältnisse finanziell relevante Veränderungen eingetreten sind, die sich schon auf den Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten auswirken. Zu prüfen ist dabei, ob sich diese Veränderung auch bei Fortbestand der Ehe ergeben hätte (dann betrifft sie auch den Bedarf) oder kein Zusammenhang mit der Ehe mehr anzunehmen ist (dann bleibt der Bedarf unverändert und wird durch diese Änderung nicht verändert).
Rz. 32
Solche Veränderungen können in unterschiedlicher Richtung eingetreten sein:
Es kann eine nachträgliche Verbesserung der finanziellen Verhältnisse eingetreten sein, bei der sich die Frage stellt, ob diese noch "in der Ehe angelegt" war und sich damit bedarfserhöhend zugunsten des unterhaltsberechtigten Ehegatten auswirkt. Damit werden positive finanzielle Veränderungen, die bis zur Rechtskraft der Scheidung eintreten, den bedarfsbestimmenden ehelichen Lebensverhältnissen noch zugeschlagen. Dies gilt aber ausnahmsweise nicht, wenn es nach der Trennung oder Scheidung zu einer unerwarteten, außerhalb des Normalverlaufs liegenden Einkommenserhöhung kommt, die nicht in der Ehe angelegt war.
Rz. 33
Hier sind in der Praxis folgende Fallgestaltungen denkbar:
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Der Unterhaltsanspruch eines minderjährigen Kindes fällt weg, so dass mehr Geld zur Verfügung steht. Dies berührt auch den Bedarf. |
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Eine "Studentenehe" beschränkt nicht den Bedarf auf "Studentenlimit", sondern bezieht auch das Erwerbseinkommen aus einer nach dem Studienabschluss bereits erzielten Erwerbstätigkeit ein. |
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Dagegen führt eine unvorhergesehene berufliche Entwicklung (Stichwort: Karrieresprung) nicht zu einer Erhöhung des Bedarfes. Dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass die nach der Trennung (oder später nach der Scheidung) erzielten Einkünfte Ausdruck der ehelichen Lebensverhältnisse sind, wie sie während des Zusammenlebens in intakter Ehe bis zur Trennung bestanden haben. Abgegrenzt wird der Karrieresprung von der sog. Normalentwicklung, d.h. einer Entwicklung, die mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist und die auch nach bisheriger Rechtsprechung als die ehelichen Lebensverhältnisse uneingeschränkt prägend angesehen wurde, unabhängig davon, ob die Entwicklung der Lebenserfahrung entspricht. |
OLG Brandenburg v. 3.6.2019 – 9 UF 49/19
Zitat
Für die Bedarfsbemessung des Ehegattenunterhaltsanspruchs sind auch die üblichen Einkommensveränderungen nach dem Trennungszeitpunkt zu berücksichtigen. Beruhen die neuen Umstände auf Veränderungen nach der Trennung und einer unerwarteten und vom Normalfall erheblich abweichenden Entwicklung – so beim sog. Karrieresprung -, sind diese nicht mehr eheprägend.
Rz. 34
Es kann eine nachträgliche Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse eingetreten sein, bei der sich die Frage stellt, ob diese auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wäre und die sich damit der unterhaltsberechtigte Ehegatte bereits bedarfsvermindert entgegenhalten muss:
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Ein Ehegatte erreicht das Rentenalter und bezieht geringere Einkünfte. Dies wirkt sich bereits auf den Bedarf aus. |
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Ein Ehegatte wird unverschuldet arbeitslos. Auch dies berührt bereits den Bedarf, denn dies wäre bei Fortbestand der Ehe in gleicher Weise eingetreten. |
Rz. 35
Auch eintretende Belastungen können hier Bedeutung erlangen.
Da die ehelichen Lebensverhältnisse, die Maßstab des Bedarfes des unterhaltsberechtigten Ehegatten sind, erst mit Rechtskraft der Scheidung enden, beeinflussen auch Veränderungen zwischen dem Zeitpunkt der Trennung der Ehegatten, an dem eigentlich die bisherigen realen Lebensverhältnisse der intakten Ehe ihr praktisches Ende gefunden haben, und der regelmäßig deutlich später liegenden Rechtskraft der Scheidung noch den Bedarf der Ehegatten. Negative Veränderungen durch neu eintretende Belastungen führen also bereits zu einer Verringerung dieses Bedarfes und reduzieren nicht nur die Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten.
Rz. 36
Solche negativen Veränderungen sind in der Lebenswirklichkeit nicht selten. Der häufigste Fall dürfte die Geburt eines vom getrenntlebenden Ehegatten mit einer neuen Partnerin gezeugten Kindes sein, der e...