Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 82
Die ehelichen Lebensverhältnisse werden nicht nur vom Einkommen der Ehegatten, sondern auch von den Kosten für das Wohnen bestimmt.
Das mietfreie Wohnen im Eigenheim oder der Eigentumswohnung ist ein Gebrauchsvorteil und damit als Vermögensnutzung dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen hinzuzurechnen, soweit die ersparte Miete die anzuerkennenden Kosten der Immobilie übersteigt. Voraussetzung ist, dass der Beteiligte den Wohnraum als Allein- oder Miteigentümer, als Nießbrauchsberechtigter oder aufgrund eines unentgeltlichen dinglichen oder schuldrechtlichen Wohnrechts bewohnt.
Rz. 83
Praxistipp:
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Der in die Unterhaltsberechnung einzustellende Wohnwert errechnet sich aus der Differenz zwischen dem anzurechnenden Nutzungsvorteil der Immobilie und den tatsächlichen abzugsfähigen Kosten für das Haus bzw. die Wohnung (siehe unten). Der Wohnwert bezieht sich also allein auf die ersparte Kaltmiete. Er vermindert sich um die Kosten der Finanzierung. |
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Beim Wohnwert handelt es sich nicht um (fiktive) Einkünfte aus Erwerbstätigkeit handelt, so dass auch kein Erwerbstätigenbonus abgezogen werden darf. |
Beim Unterhaltspflichtigen erhöht die notwendige Zurechnung mietfreien Wohnens die Leistungsfähigkeit, beim Unterhaltsberechtigten mindert das mietfreie Wohnen seine Bedürftigkeit.
Rz. 84
Hinsichtlich der Höhe der Anrechnung ist zu unterscheiden zwischen dem angemessenen und dem objektiven Wohnwert.
1. Der objektive Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung)
Rz. 85
Der objektive Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung) bemisst sich nach dem Betrag, der als Miete von einem Dritten auf dem Wohnungsmarkt für die konkrete Wohnung bzw. das konkrete Eigenheim erzielt werden kann. Hierbei kommt es auf die Lage der Immobilie, die genaue Größe, Ausstattung und die übrigen mietrelevanten Umstände an, die im gerichtlichen Verfahren konkret dargelegt und – falls sie umstritten sind – bewiesen werden müssen.
Rz. 86
Als fiktives Einkommen kann dieser Wohnwert nur dann– angerechnet werden, wenn dem die Wohnung nutzenden Ehegatten der Vorwurf gemacht werden kann, er müsse und könne die Wohnung durch Fremdvermietung besser verwerten. Die Anrechnung des objektiven Wohnwertes als fiktives Einkommen basiert also rechtlich auf der – darzulegenden – Verletzung einer Verwertungsobliegenheit. Dies setzt folglich voraus, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits eine Verwertungsobliegenheit besteht.
2. Angemessener Wohnwert
Rz. 87
Demgegenüber bezieht sich der angemessene Wohnwert auf die persönlichen Verhältnisse der Person oder der Personengruppe, die die Wohnung derzeit bewohnt. Basis dieser Bewertung ist die Wohnung, die nach Größe und Ausstattung seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen angemessen ist. Daraus ergibt sich nur ein Wohnvorteil in Höhe der objektiven Miete für eine kleinere, dem ehelichen Standard und den Wohnbedürfnissen des in der Wohnung verbliebenen Beteiligten entsprechende Wohnung, die er sich im Hinblick auf seine aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse hätte anmieten können. Leben im Haushalt Kinder, sind Wohnbedarf und Wohnkosten regelmäßig höher als bei einem Alleinstehenden.
Rz. 88
Nach der Trennung bewohnt nur noch ein Ehegatte – ggf. mit den Kindern – die Wohnung. Die Trennung der Eheleute – und der damit verbundene Auszug eines Ehegatten – löst jedoch die gemeinsame Lebensplanung nicht mit sofortiger Wirkung auf. Deshalb kann nicht verlangt werden, dass die Ehewohnung sofort veräußert wird. Denn derjenige Ehepartner, der nach der Trennung noch in der Wohnung verbleibt und die Kosten der Wohnung trägt, handelt ja gerade im Interesse der gesamten Familie, um ggf. auch eine Versöhnung und eine Rückkehr der übrigen Familie in die Ehewohnung überhaupt möglich zu machen.
Rz. 89
Während dieser Übergangszeit müssen sich also beide Ehepartner noch an den gemeinsamen getroffenen Dispositionen festhalten lassen und können sich nicht einseitig von den damit verbundenen Belastungen lösen. Bis zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt (dem "Tag X"), ist damit das gemeinsame Eigenheim bzw. die gemeinsame Eigentumswohnung mit all den daraus resultierenden Aktiva und Passiva noch wirtschaftlicher Fakt und kann folglich auch unterhaltsrechtlich nicht ignoriert werden, sondern muss von beiden Ehegatten in gleicher Weise getragen werden.
Rz. 90
Während der Trennungszeit wird daher i.d.R. nicht der volle Mietwert angerechnet, sondern nur der nach § 287 ZPO zu schätzende für den in der Wohnung verbliebenen Ehegatten angemessene Nutzungsvorteil, der sich hinsichtlich der Wohnungsgröße als auch der Qualität nach dem Maßstab richtet,...