Rz. 85
F verlangt von ihrem geschiedenen/getrennt lebenden Ehemann M Ehegattenunterhalt. Das bereinigte Nettoeinkommen des M beträgt monatlich 1.600 EUR. F hat kein Einkommen und ist auch nicht in der Lage – und bspw. beim Trennungsunterhalt im ersten Trennungsjahr auch nicht gehalten –, eigenes Einkommen zu erzielen.
I. Anspruchsgrundlage
Rz. 86
Es soll davon ausgegangen werden, dass ein Unterhaltstatbestand erfüllt ist. Vgl. zum Trennungsunterhalt Fall 15 (siehe Rdn 5 ff.) und zum Geschiedenenunterhalt Fall 16 (siehe Rdn 31 ff.).
Zur Erinnerung:
In der Trennungsphase ist dieser Prüfungspunkt wegen § 1361 BGB unproblematisch. Für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung gilt jedoch der Grundsatz der Eigenverantwortung. Ein Unterhaltsanspruch ist nur ausnahmsweise in den gesetzlich bestimmten Fällen gegeben – wenngleich natürlich in der Praxis solche Ansprüche häufig gegeben sind, und zwar insbesondere in Form von Unterhalt wegen Kinderbetreuung oder in Form von Aufstockungsunterhalt.
II. Bedarf
Rz. 87
Es gilt der Halbteilungsgrundsatz, wobei jedoch Erwerbseinkünfte nur zu 90 % zu berücksichtigen sind (Abzug von 1/10 Erwerbstätigenbonus vom bereinigten Nettoeinkommen). Zur Bedarfsermittlung vgl. Fälle 16 und 17.
Bedarf des Ehegatten ist grundsätzlich die Hälfte der Summe der jeweils um den Erwerbstätigenbonus (1/10) gekürzten bereinigten Nettoeinkommens der beiden Ehegatten.
Erwerbstätigenbonus für M: 1.600 EUR × 10 % = 160 EUR
bedarfsbestimmendes Einkommen des M: 1.600 – 160 EUR = 1.440 EUR
Rz. 88
F hat kein Einkommen.
Bedarf von F (Summe der gekürzten Einkommen geteilt durch 2):
(1.440 + 0) : 2 = 720 EUR
III. Bedürftigkeit (ungedeckter Bedarf)
Rz. 89
Da F kein Eigeneinkommen hat, ist sie in Höhe ihres Bedarfes bedürftig.
Auf den Mindestbedarf (960 EUR) kommt es nicht an, da M offensichtlich schon bezüglich der 720 EUR leistungsunfähig ist.
IV. Leistungsfähigkeit
Rz. 90
§ 1581 Leistungsfähigkeit
Ist der Verpflichtete nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem Berechtigten Unterhalt zu gewähren, so braucht er nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht. Den Stamm des Vermögens braucht er nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.
BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17 Rn 25
Die Leistungsfähigkeit des Antragstellers ergibt sich aus seinen Einkünften abzüglich eines ihm zu belassenden Selbstbehalts. Eine Unterhaltspflicht besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Unterhaltsschuldner infolge einer solchen Pflicht selbst sozialhilfebedürftig würde. Denn dem Unterhaltspflichtigen muss schon aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen sicherstellt. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet deswegen jedenfalls dann, wenn der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern.
Bei der Bemessung des Selbstbehalts, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters ist, sind zusätzlich die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, die sich insbesondere aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben (vgl. Senatsurteil vom 19.11.2008 – XII ZR 129/06, FamRZ 2009, 307 Rn 23 m.w.N.).
Rz. 91
Müsste M den ermittelten Bedarf der F decken, blieben ihm nur 880 EUR (1600 – 720). Sein Selbstbehalt gegenüber einem Ehegatten von 1.280 EUR wäre nicht gewahrt.
SüdL
21. Selbstbehalt
21.1 Es ist zu unterscheiden zwischen dem notwendigen (§ 1603 II BGB), dem angemessenen (§ 1603 I BGB) und dem eheangemessenen Selbstbehalt (§§ 1361 I, 1578 I BGB).
(…)
21.4 Gegenüber Ehegatten gilt grundsätzlich der Ehegattenmindestselbstbehalt (= Eigenbedarf). Er beträgt in der Regel für Erwerbstätige 1.280 EUR und für Nichterwerbstätige 1.180 EUR.
(…)
Seit 1.1.2020 differenzieren beim Ehegattenmindestselbstbehalt alle Oberlandesgerichte im Anwendungsbereich der SüdL zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen.
BGH, Beschl. v. 16.10.2019 – XII ZB 341/17 Rn 28
Indessen hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass ein erhöhter Selbstbehalt des Erwerbstätigen im Rahmen der Leistungsfähigkeit – wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsbemessung – die Fortführung der Erwerbstätigkeit honoriert (vgl. auch Senatsbeschluss vom 13.11.2019 – XII ZB 3/19, zur Veröffentlichung bestimmt).
Ist der Unterhaltspflichtige allerdings nicht erwerbstätig, entfällt auch diese Rechtfertigung (vgl. Senatsurteile vom 19.11.2008 – XII ZR 129/06, FamRZ 2009, 307 Rn 15, 25, 27 und vom 9.1.2008 – XII ZR 170/05, FamRZ 2008, 594 Rn 26).
Soweit der Tatrichter im Rahmen der Leistungsfähigkeit auch beim Ehegattenunterhalt eine entsprechende Differenzierung vornimmt, ist dies daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurteil vom 17.3.2010 – XII ZR 204/08, FamRZ 2010, 802 ...