Prof. Dr. Wolfgang Reimann
I. Die Tabellen als Grobraster
Rz. 35
Würde man bei der Ermittlung des Vergütungsgrundbetrages aufhören, wäre nicht ausreichend nach der Art der Testamentsvollstreckung differenziert: Die "Tabellenwerte" sollen nämlich nach ihrem eigenen Anspruch nur die glatte Abwicklung unter normalen Verhältnissen abgelten. Sie decken den Zeitraum bis zur Beendigung der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers ab; das ist im Regelfall die Überleitung des Nachlasses auf einen Nachfolger als Testamentsvollstrecker oder der "Aushändigung" bzw. Freigabe des Nachlasses an die Erben und die Erfüllung der erbschaftsteuerlichen Verpflichtungen des Testamentsvollstreckers.
Differenzierungsgebot und Äquivalenzprinzip verlangen, dass der Pflichtenkreis des Testamentsvollstreckers, der Umfang der ihn treffenden Verantwortung und die von ihm geleistete Arbeit zu berücksichtigen sind.
Rz. 36
Eine bloße Abwicklungsvollstreckung ist dabei anders zu honorieren als eine Dauervollstreckung. In beiden Fällen kann es neben der eigentlichen Verwaltungsarbeit auch zu besonders schwierigen und aufwändigen Konstituierungsmaßnahmen kommen. Erfolgt eine längere Verwaltungstätigkeit oder verursacht die Verwaltung eine besonders umfangreiche oder zeitraubende Tätigkeit oder ist sie aus sonstigen, auch aus juristischen Gründen, z.B. bei Vorhandensein von Minderjährigen, besonders schwierig, so kann eine höhere Vergütung angemessen sein, auch eine laufende Vergütung, die nach dem Jahresertrag der Einkünfte zu berechnen ist.
Rz. 37
Die Tabellen führen jedenfalls dann zu unangemessenen Ergebnissen, wenn die im konkreten Fall vom Testamentsvollstrecker erbrachte Leistung nicht berücksichtigt wird. Maßgebliche Kriterien sind die Schwierigkeit der gelösten Aufgaben, die Dauer der Abwicklung oder der Verwaltung, die Verwertung besonderer Kenntnisse und Erfahrungen und auch der Erfolg der Tätigkeit. Die Vergütung hat darüber hinaus das ein "normales" Maß übersteigendes Haftungsrisiko des Testamentsvollstreckers (§ 2219 BGB) zu berücksichtigen.
Methodisch richtig ist es daher, diese Faktoren neben dem Vergütungsgrundbetrag (der ggf. selbst zu verifizieren ist) zu erfassen und für sie besondere Zuschläge zu gewähren oder ggf. auch Abschläge vorzunehmen, wenn die Tätigkeit relativ einfach ist.
Rz. 38
Auch Banken übernehmen Testamentsvollstreckungen. Es ist also sinnvoll, sich im Einzelfall – gewissermaßen zur Kontrolle des vorläufigen Ergebnisses aufgrund der Tabellen – das Prüfungsschema von Banken heranzuziehen.
Rz. 39
Auch das Mittelwertverfahren kann helfen, zu einer angemessenen Vergütung zu gelangen. Es ist dann die Vergütung nach den einzelnen Tabellen (oder einigen von Ihnen) zu errechnen, um sodann den Mittelwert zu bilden. Auch dieser Mittelwert bedarf natürlich der Feinjustierung.
II. Zuschläge zum Vergütungsgrundbetrag
1. Mögliche Typisierung
Rz. 40
Bei Testamentsvollstreckungen lassen sich typische Fallgestaltungen erkennen, die jeweils im Allgemeinen und stets unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Einzelfall eine andere Antwort auf die Frage nach der Angemessenheit der Vergütung rechtfertigen. Bei den Fallgruppen ist nach der Art der vom Testamentsvollstrecker erbrachten Leistungen zu differenzieren. Hierzu wurden zahlreiche Vorschläge gemacht von:
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Möhring/Beißwingert/Klingelhöffer (Vermögensverwaltung in Vormundschafts- und Nachlaßsachen, 7. Aufl. 1992, S. 218 ff.) bzw. Klingelhöffer (Vermögensverwaltung in Nachlasssachen, 2002, S 193 ff.), |
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Eckelskemper/Schmitz (in: Bengel/Reimann, Handbuch der Testamentsvollstreckung, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn 82 ff.), |
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Tiling (ZEV 1998, 331), |
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dem Deutschen Notarverein (Notar 2000, 2 ff. = ZEV 2000, 181 ff.). |
In Sonderheit die Empfehlungen des Deutschen Notarvereins typisieren die denkbaren Zuschläge und Abschläge methodisch in einer Weise, die es den Nachlassbeteiligten ermöglicht, die Berechnung nachzuvollziehen und zu überprüfen. Die DNotV-Empfehlungen haben darüber hinaus den Vorzug, dass sie konkrete Margen für Zuschläge und Abschläge vorschlagen und sich auf das gesetzliche Vorbild der InsVV berufen können.
2. Abwicklungsvollstreckung
Rz. 41
Konstituierung: Zuschläge zum Vergütungsgrundbetrag sind bei der Abwicklungsvollstreckung für die Konstituierung des Nachlasses zu erheben. Unter Konstituierung fasst man alles zusammen, was dem Ermitteln, dem Sichern und der Inbesitznahme des Nachlasses dient, z.B. das Erstellen des Nachlassverzeichnisses, die Bewertung des Nachlasses, das Regulieren der Nachlassverbindlichkeiten einschließlich der Erbschaftsteuer. Ein Konstituierungszuschlag kann naturgemäß dort nicht erhoben werden, wo der Testamentsvollstrecker in der Lage ist, den Nachlass einfach "in Empfang zu nehmen" (einige wenige Kontoauszüge etc.). Die DNotV-Empfehlungen geben einen Zuschlag von 2/10 bis 10/10 vor.
Rz. 42
Wenn der Testamentsvollstrecker vor dem Erbfall bereits für den Erblasser beratend tätig war und an dessen estate planning