Prof. Dr. Wolfgang Reimann
I. Veränderte Geldwertverhältnisse
Rz. 64
Die Geldwertverhältnisse haben sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert, vor allem im Zuge der Euro-Einführung und durch den Anstieg der Immobilienpreise. Der Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) hat sich seit dem Jahr 2000 (Veröffentlichung der DNotV-Empfehlungen) bis zum Jahre 2020 von 79,9 auf 105,8 Punkte, also von 100 % auf 132 % erhöht. Der Immobilienpreisindex für Deutschland hat sich allein vom 1. Quartal 2004 bis zum 2.Quartal 2021 von 100 Punkten auf 173 Punkte erhöht. Die Erhöhung des Verbraucherpreisindex zwischen 1999 und 2018 um 31,7 % und der Anstieg der durchschnittlichen Bruttolöhne der Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum auf 45,6 % waren Anlass für die Änderung der InsVV (vgl. oben Rdn 29).
Rz. 65
Die bisher vorliegenden Tabellen, die zum Teil älter als 20 Jahre sind, haben mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Solange man die Tabellen unverändert anwendet, kommt dies dem Schuldner der Testamentsvollstreckervergütung zugute, da die Degression, legt man die "alten" Werte zugrunde, früher als vorgesehen eintritt. Zwar führt die allgemeine Geldentwertung wegen der Wertabhängigkeit der Vergütung zu einer laufenden Erhöhung der Vergütung, wenn im Zuge der allgemeinen Preisentwicklung auch die durchschnittlichen Nominalwerte der betroffenen Vermögen ansteigen. Während der Beratung zur Novellierung des InsVV wurde allerdings darauf hingewiesen, dass hierdurch "wegen der degressiven Struktur der Regelvergütung … dieser Effekt die Realeinkommensverluste, die sich bei unveränderter Vergütungsvorschrift inflationsbedingt ergeben, aber nicht vollständig" ausgeglichen werden können.
Rz. 66
Die InsVV in der Fassung ab 1.1.2021 erhöht die Stufengrenzwerte um jeweils 40 %. Legt man dieses gesetzliche Modell zugrunde – unabhängig davon, dass auch die Vergütungsprozentsätze für die jeweilige Stufe erhöht wurde und die Vergütung nicht linear, sondern stufenweise erfolgt, was immer auch zu einem höheren Ergebnis führt – würde dies etwa bei den DNotV-Empfehlungen, die sich am Modell der InsVV orientieren und nahezu gleich alt sind, folgende Stufengrenzwerte ergeben:
statt |
250.000EUR |
350.000 EUR |
statt |
500.000 EUR |
700.000 EUR |
statt |
2.500.000 EUR |
3.500.000 EUR |
statt |
5.000.000 EUR |
7.000.000 EUR |
Die Berechnung für die übrigen Tabellen könnte analog erfolgen, jedoch ist bei diesen zu berücksichtigen, dass sie teils erst in jüngeren Auflagen veröffentlicht wurden.
Rz. 67
Unabhängig davon ist die Frage, ob – wie bei der InsVV – im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen, die an Testamentsvollstrecker ähnlich wie an Insolvenzverwalter durch die erhöhte Komplexität der Nachlässe gestellt werden, auch die maßgeblichen Vergütungsprozentsätze angehoben werden müssten.
Rz. 68
Solange die gängigen Tabellen nicht an die inflationäre Entwicklung angepasst sind, ist sachgerecht und i.S.v. § 2221 BGB angemessen, diesen Faktor im Einzelfall durch die Koppelung der Wertstufen an die inflationäre Entwicklung zu berücksichtigen. Die Tabellen würden also insoweit individuell fortgeschrieben werden.
II. Großnachlässe
1. Geringe Aussagekraft der Tabellen
Rz. 69
Die substanzielle Vergrößerung der Vermögen in Deutschland, aber auch die – eher nominelle – Wertsteigerung bei Immobilien haben dazu geführt, dass die Nachlässe, die Testamentsvollstrecker zu verwalten haben, immer größer werden. Auch insoweit sind die vorliegenden Tabellen nicht mehr auf dem neuesten Stand. Die letzte Degressionsstufe beginnt
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bei der Rheinischen Tabelle bei 1 Mio. DM (511.291,88 EUR), |
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bei der Möhring’schen Tabelle bei 2 Mio. DM (1.022.538,70 EUR), |
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bei der Klingelhöffer’schen Tabelle bei 1 Mio. EUR, |
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bei der Berliner Praxis-Tabelle bei 2 Mio. DM (1.022.583,76 EUR), |
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bei der Eckelkemper’schen Tabelle immerhin schon bei 2,5 Mio. EUR und |
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bei den DNotV-Empfehlungen bei 5 Mio. EUR. |
Bei Anwendung dieser Tabellen ist somit bereits sehr frühzeitig die höchste Degressionsstufe erreicht. Überschreitet der Wert des Nachlasses die genannten obersten Stufengrenzwerte deutlich, kommt es nicht mehr zu einer weiteren Degression der Vergütung, mit der Folge, dass die "Tabellen-Vergütung" in vielen Fällen von den Erben als unangemessen empfunden wird.
Rz. 70
Die in den diversen Tabellen verwendeten Höchststufenwerte deuten darauf hin, dass die zugrundeliegenden Vergütungsempfehlungen vor allem "bürgerliche Nachlässe" betreffen sollten ("KMU-Tabellen"). Jedenfalls können die Tabellen bei deutlichem Überschreiten der Höchstwerte nicht schematisch angewandt werden. Es sind daher Überlegungen darüber anzustellen, wie die Vergütung des Testamentsvollstreckers bei Großnachlässen angemessen festgesetzt werden kann.
Das OLG Köln hatte allerdings eine sofortige degressive Staffelung bei Wer...