Rz. 33

Nachdem über viele Jahre und Jahrzehnte die Frage der Sittenwidrigkeit von Verzichtserklärungen in der Rechtsprechung keine Rolle spielte, gibt es aus letzter Zeit zwei bemerkenswerte Urteile zu dieser Problematik. Insbesondere die Entscheidung des OLG Hamm vom 8.11.2016 fand breite Beachtung.[18] Der Vater war praktizierender Zahnarzt und Gesellschafter einer GmbH, die ein Dentallabor betreibt. Er bot seinem Sohn, der bei der von ihm getrennten Ehefrau lebte, unmittelbar nach Volljährigkeit den Abschluss eines Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrages an, in dem er seinem Sohn als Gegenleistung für den Verzicht einen Sportwagen im Wert von ca. 100.000 EUR, den er gerade erworben hatte, anbot, jedoch unter der Bedingung, dass sein Sohn das 25 Lebensjahr vollendet, innerhalb einer bestimmten Frist seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker mit der Note eins bestand und innerhalb weiterer vier Jahre seine Meisterprüfung ebenfalls mit der Note eins bestanden haben musste. Diesen Pflichtteilsverzicht hat das OLG Hamm für sittenwidrig gehalten, weil er gegen das Anstandsgefühl verstoße.

 

Rz. 34

Nach ihrem Inhalt ließen die Vereinbarungen ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des verzichtenden Sohnes erkennen. Das resultiere insbesondere daraus, dass die Gegenleistung erst nach Erfüllung von drei kumulativ zu prüfenden Bedingungen erfolgen solle. Diese Bedingungen seien zum Teil auch geeignet gewesen, den verzichtenden Sohn in zu missbilligender Weise in der Wahl seines beruflichen Werdegangs einzuschränken. Dieser habe schlicht keinen Spielraum mehr zu einer beruflichen Umorientierung gehabt, sodass der Verzicht eine Knebelwirkung entfaltet habe. Im Vordergrund habe offensichtlich als Beweggrund für den Vater die Erlangung des Verzichts zur Erweiterung seiner eigenen Testierfreiheit gegen eine verhältnismäßig geringe Abfindung gestanden.

 

Rz. 35

Selbst wenn man also den Pflichtteilsverzicht als solchen für wertneutral halten wollte, kann durch eine zu missbilligende Abfindungsvereinbarung auch ein solcher Pflichtteilsverzicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sein.

Diese Entscheidung sollte Anlass dafür sein, bei Abschluss eines entgeltlichen Pflichtteilsverzichts Leistung und Gegenleistung abzuwägen, um nicht in die Gefahr zu geraten, bei einer viel zu geringen Abfindung über die Annahme der Sittenwidrigkeit zu einer Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts zu gelangen.

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