Rz. 168
Dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer stehen bei Behinderungen und Unterbrechungen Schadensersatzansprüche aus § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B zu. § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B ist als Auffangtatbestand für alle Fälle der Leistungsverzögerung anzusehen, die auf eine Behinderung oder Unterbrechung zurückzuführen und anderweitig nicht geregelt sind. Die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches sind für Auftraggeber und Auftragnehmer im Wesentlichen die Gleichen. Soweit Besonderheiten bestehen, wird nachfolgend darauf hingewiesen.
a) Vertretenmüssen
Rz. 169
Ein Schadensersatzanspruch eines Vertragspartners gem. § 6 Abs. 6 S. 1 VOB/B setzt voraus, dass die hindernden Umstände von dem anderen Partner zu vertreten sind. Gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Der Begriff des "Vertretenmüssens" entspricht somit dem des "Verschuldens". Für Ansprüche des Auftragnehmers bedeutet dies, dass die Behinderungsursachen Streik, Aussperrung und höhere Gewalt (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) und c) VOB/B) dem Wortlaut nach von vorneherein zur Begründung von Verzugsschadensersatzansprüchen ausscheiden. Gleiches gilt für unabwendbare und aus der Auftraggebersphäre resultierende Behinderungen, die der Auftraggeber nicht verschuldet hat.
Rz. 170
Beispiele für Behinderungen, die der Auftraggeber zu vertreten hat:
▪ |
verspätete Bereitstellung der Pläne durch den Auftraggeber oder seinen Architekten (Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB); |
▪ |
fehlende Baugenehmigung, wenn der Auftraggeber diese nicht rechtzeitig beantragt oder die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig eingereicht hat; |
▪ |
Finanzierungsschwierigkeiten des Auftraggebers sind stets von ihm zu vertreten, da als Kehrseite der Vertragsfreiheit jedermann für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat. |
Rz. 171
Auch die vom Auftragnehmer zu vertretenden Gründe haben ihren Anknüpfungspunkt in dessen Vertragspflichten. Der Auftragnehmer muss z.B.:
▪ |
in eigener Verantwortung und mindestens nach den Regeln der Technik, insgesamt vertragsgemäß bauen, |
▪ |
die Materialien und sonstigen Unterlagen rechtzeitig beschaffen, |
▪ |
seinen Bauablauf auf die vertraglichen Fristen einstellen. |
Rz. 172
Dem eigenen Verschulden der Vertragspartei wird das Verschulden von Personen gleichgestellt, deren sich die Partei zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten bedient (Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB).
Rz. 173
Der Vorunternehmer ist nicht Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer, wenn der Vorunternehmer seine Leistung nur aufgrund und in Erfüllung des Vertragsverhältnisses zum Auftraggeber erbringt und nicht im Pflichtenkreis des Auftraggebers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer tätig wird. Eine Haftung des Auftraggebers nach § 6 Abs. 6 VOB/B für vom Vorunternehmer verschuldete Verzögerungen ist nur dann gegeben, wenn sich der Auftraggeber gegenüber dem Nachfolgeunternehmer vertraglich besonders verpflichtet hat, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vorleistung zu stellen.
Rz. 174
Fehlt eine besondere vertragliche Verpflichtung des Auftraggebers, dem Nachfolgeunternehmer eine bestimmte Vorleistung fristgerecht zur Verfügung zu stellen, und ist eine Verletzung der auftraggeberseitigen Koordinierungspflicht nicht nachzuweisen, so hat der Nachfolgeunternehmer ggf. Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 642 BGB (siehe hierzu auch Rdn 87 ff. und Rdn 111 ff.).
Rz. 175
Sofern Verzögerungen keiner Vertragspartei anzulasten sind, ist ein Verschulden nicht gegeben, so dass Schadensersatzansprüche ausscheiden. Trotzdem können auch solche Verzögerungen für den Auftragnehmer relevant werden, da sie einen Bauzeitverlängerungsanspruch nach § 6 Abs. 2 VOB/B begründen können.
b) Schaden
Rz. 176
Die Schadenshöhe bestimmt sich im Allgemeinen nach dem, was der Anspruchsteller durch die hindernden Umstände an Vermögensnachteilen erlitten hat und nachweisen kann. Hierzu gehören grundsätzlich auch Materialgemeinkosten, Fertigungsgemeinkosten, Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie Wagnis und Gewinn, wenn Personal und Material des Auftragnehmers wegen einer Bauzeitverzögerung auf der Baustelle "gebunden" bleiben und der Auftragnehmer Schadensersatz verlangt, weil er seine Betriebsmittel nicht anderweitig einsetzen konnte. Entgangener Gewinn kann allerdings wegen der Sonderregelung in § 6 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 VOB/B nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden. Für leichte Fahrlässigkeit bleibt es bei den Vermögensnachteilen, die sich aus einer Differenzbetrachtung (d.h. Betrachtung der Vermögenssituation des Geschädigten mit und ohne schädigendes Ereignis) ergeben. Dazu kommt bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit noch der entgangene Gewinn.