aa) Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs (§ 642 Abs. 1 BGB)
Rz. 89
Der Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass bei der Herstellung des Bauwerks eine Mitwirkungshandlung des Auftraggebers erforderlich ist, der Auftraggeber die Mitwirkungshandlung unterlässt, die zu diesem Zeitpunkt fällig war und dadurch in Annahmeverzug gerät.
Neben der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Mitwirkungshandlung des Bestellers ist erforderlich, dass der Auftragnehmer zur Leistung bereit und imstande ist (§ 297 BGB), seine Leistung wie geschuldet dem Besteller angeboten (§§ 294–296 BGB) und, sofern die Parteien die Einbeziehung der VOB/B vereinbart haben, ordnungsgemäß die Behinderung, wenn diese nicht offenkundig ist, nach § 6 Abs. 1 VOB/B angezeigt hat.
Rz. 90
Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers können sich ergeben aus:
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der Bereitstellung des Grundstücks, |
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der Gestattung des Betretens, |
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der Zurverfügungstellung von Plänen und Unterlagen, |
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Informationspflichten, |
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der Beibringung der für die Arbeiten erforderlichen Baugenehmigung, |
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dem Treffen der für die reibungslose Ausführung des Baues notwendigen Entscheidungen und Hinweise, |
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der Beauftragung mehrerer Unternehmer nebeneinander aus einer Koordinierungspflicht, |
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ggf. noch nicht fertig gestellten Vorarbeiten, |
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Gewährleistung eines ausreichenden Hochwasserschutzes, |
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der Beantwortung von Anfragen und Hinweisen des Auftragnehmers und der Beachtung von wesentlichen Bedenken. |
Rz. 91
Der BGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung "Vor- und Nachunternehmer II" zum Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB Folgendes festgestellt:
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Der Auftraggeber kann dem Auftragnehmer aus § 642 BGB haften, wenn er durch das Unterlassen einer bei der Herstellung des Werkes erforderlichen Mitwirkungshandlung in den Verzug der Annahme kommt. |
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Dies gilt für den BGB- und den VOB/B-Vertrag. |
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§ 6 Abs. 6 VOB/B bietet keine abschließende Regelung von Leistungsstörungen, die zu Verzögerungen führen, und verdrängt § 642 BGB nicht. |
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Unterlässt der Auftraggeber die Mitwirkungshandlung, die im weiten Sinne zu verstehen ist und sowohl in einem Tun wie in einem Unterlassen bestehen kann, und gerät er in Annahmeverzug, so kann dem Auftragnehmer über den Ersatz für Mehraufwendungen gem. § 304 BGB hinaus ein Anspruch auf angemessene Entschädigung zustehen. |
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Dieser kann auch bestehen, wenn die Mitwirkungshandlung nachgeholt wird und das Werk hergestellt wird. |
Rz. 92
Aus einer witterungsbedingten Bauzeitverlängerung lässt sich kein Annahmeverzug des Auftraggebers ableiten. Denn es besteht keine Obliegenheit des Auftraggebers, dem Auftragnehmer ein für die Bauausführung auskömmliches Wetter zur Verfügung zu stellen.
Rz. 93
Bei einem Bauvertrag ergeben sich aus dessen Charakter als Langzeitvertrag und seiner Komplexität verschiedene von der Rechtsprechung entwickelte Kooperationspflichten der Vertragsparteien, aber auch Mitwirkungshandlungen. Den Auftraggeber trifft z.B. eine Koordinierungspflicht, wenn er mehrere Unternehmen beauftragt. Werden Verzögerungen durch Vorunternehmer verursacht, kommt der Auftraggeber in der Regel seiner Obliegenheit, das Grundstück in einer für die Leistungserbringung geeigneten Weise zur Verfügung zu stellen, nicht nach.
Rz. 94
Obliegenheiten des Auftraggebers können über die Gestaltung des Vertrages auf den Auftragnehmer übertragen werden. So können z.B. Koordinierungsaufgaben vom Auftragnehmer übernommen werden.
Rz. 95
Voraussetzung für einen Annahmeverzug des Gläubigers ist grundsätzlich ein tatsächliches Leistungsangebot des Schuldners. Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden (§ 294 BGB). Der Begriff der angebotenen Leistungen i.S.v. § 642 BGB umfasst nur die Mitteilung der Leistungsbereitschaft des Auftragnehmers und die Aufforderung an den Auftraggeber zur Mitwirkung. Es geht nicht um die gesamte laut Bauvertrag herzustellende Leistung.
Rz. 96
Gem. § 295 BGB ist ein wörtliches Angebot des Schuldners ausreichend, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist. Dem Angebot der Leistung steht die Aufforderung des Schuldners an den Gläubiger gleich, die erforderliche Handlung vorzunehmen. Der BGH hat zum wörtlichen Angebot der Leistungen ausgeführt, dass dieses dadurch zum Ausdruck gebracht werden kann, dass der Auftragnehmer seine Mitarbeiter auf der Baustelle zur Verfügung hält und zu erkennen gibt, dass er bereit und in der Lage ist, seine Leistungen zu erbringen.
Rz. 97
Gem. § 296 S. 1 BGB bedarf es eines Leistungsangebots des Auftragnehmers nicht, wenn für die Mitwirkungshandlung des Auftraggebers eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Dies ist insbesondere bei vereinbarten Bauzeitenplänen von Bedeutung. Daneben tritt die Regelung des § 296 S. 2 BGB, nach welcher der Auftraggeber auch in Annahmeverzug gerät, wenn der Mitwirkungshandlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit in der We...