Rz. 59
Das wesentliche, über die Regelungen des BGB insofern hinausgehende Steuerungsmittel zur Vermeidung von Verzügen findet sich in § 5 Abs. 3 VOB/B. Nach der dortigen Regelung muss der Auftragnehmer
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dann, wenn Arbeitskräfte, Geräte, Gerüste, Stoffe oder Bauteile so unzureichend sind, |
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dass die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können, |
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auf Verlangen unverzüglich Abhilfe schaffen. |
Rz. 60
Die Abhilfeverpflichtung des Auftragnehmers nach § 5 Abs. 3 VOB/B bedeutet eine Einschränkung von dessen grundsätzlicher Befugnis, seine Leistung unter eigener Verantwortung auszuführen und hierbei über den Einsatz von Arbeitsmitteln nach Zeitpunkt und Umfang selbst zu bestimmen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B), bis er den Fertigstellungstermin überschreitet und damit in Verzug gerät.
Rz. 61
Mit "unzureichenden" Arbeitskräften, Geräten, Gerüsten, Stoffen oder Bauteilen ist der Einsatz von Arbeitsmitteln in nicht ausreichender Menge oder Qualität (zu wenige oder nicht ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte, zu wenige oder unbrauchbare Geräte, zu geringe Materialmengen, unzuverlässige Nachunternehmer) gemeint. Voraussetzung ist, dass es wegen des ungenügenden Einsatzes von Arbeitsmitteln zu einer Gefährdung oder Überschreitung von Ausführungsfristen kommt, d.h. der Auftraggeber muss eine diesbezügliche Prognoseentscheidung treffen.
Rz. 62
Für eine solche Prognose benötigt er Informationen, die er sich vorher über die Vereinbarung
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detaillierter, vom Auftragnehmer erstellter Bauzeitenpläne und/oder |
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von Kapazitäts- und Einsatzplänen oder |
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von Angaben im Vertrag zu Mindestleistungen (z.B. 50 m2 Pflaster am Tag) gesichert hat. |
Rz. 63
Wann "die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können", ist umstritten. Teilweise wird verlangt, dass die Ausführungsfristen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überschritten werden. Die Ausführungsfristen können offenbar nicht eingehalten werden, wenn der mit den bisher vorhandenen persönlichen und sachlichen Mitteln erreichte Fortgang der Bauherstellung im Verhältnis zur verstrichenen Zeit in einem derartigen Missverhältnis steht, dass nach allgemein anerkannter Erfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Gesamtfertigstellung der betreffenden vertraglichen Leistung (bei Einzelfristen der entsprechenden Teilleistung) nicht bis zum Ablauf der Ausführungsfrist zu erwarten ist. Der Auftraggeber darf sich nicht mit allgemeinen Vermutungen begnügen, sondern er muss sich anhand von Tatsachen die Gewissheit über die vorgenannten Voraussetzungen verschaffen.
Teilweise wird es als ausreichend angesehen, wenn die ernsthafte Befürchtung einer Fristüberschreitung besteht. Teilweise wird verlangt, dass in baubetrieblicher Hinsicht objektiv feststeht, dass ohne die Ergreifung von Abhilfemaßnahmen eine Nichteinhaltung der Ausführungsfrist zu erwarten steht. Teilweise wird verlangt, dass ein Soll-Ist-Vergleich zwischen bereits erbrachter und noch zu erbringender Bauleistung unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Restzeit zu der sicheren Erwartung führt, dass Vertragsfristen überschritten werden, wenn keine Abhilfe erfolgt. In der Praxis bestehen zwischen den dargestellten Ansichten keine gravierenden Unterschiede. Entscheidend ist, dass die – drohende oder eingetretene – Fristüberschreitung ursächlich auf dem unzureichenden Einsatz von Arbeitsmitteln und nicht auf anderen Gründen (z.B. Behinderungen) beruht.
Rz. 64
Ein Mittel für die Praxis des Auftraggebers ergibt sich aus der Entscheidung des OLG Hamm zu einem Streit hinsichtlich der Angemessenheit der Nachfrist gem. § 5 Abs. 4 VOB/B, wonach der Auftragnehmer verpflichtet ist, einen Bauzeitenplan für die Restarbeiten vorzulegen, aus dem sich der unverzügliche und erkennbar effiziente, d.h. zur Einhaltung des End- oder Zwischentermins erforderliche Einsatz von Personal und Material ergibt.
Rz. 65
Praxistipp
Stellt der Auftragnehmer bei der Erstellung des Bauzeitenplans fest, dass die ihm gesetzte Frist zu kurz ist, muss er aufgrund der sich aus dem Bauvertrag ergebenden Kooperations-/Kommunikationspflicht den Auftraggeber unverzüglich über die angemessene Dauer der Frist informieren, indem er ihm den Bauzeitenplan mit einer nachvollziehbaren, substantiierten Erläuterung vorlegt. Versäumt er das, so kann er sich später – jedenfalls gegenüber einem nicht fachkundigen Auftraggeber – nicht darauf berufen, dass die Frist zu kurz gewesen sei und der Auftraggeber sich deshalb treuwidrig vom Vertrag losgesagt habe. Der Auftraggeber muss sich seinerseits unverzüglich erklären, ob er mit der aus dem Bauzeitenplan ersichtlichen Frist einverstanden ist.
Rz. 66
Das Abhilfeverlangen ist formlos möglich. Schriftform ist aus Beweisgründen empfehlenswert. Unklar ist, ob außer dem Auftraggeber selbst auch der bauüberwachende Architekt oder Ingenieur im Namen des Auftraggebers vom Auftragnehmer Abhilfe verlangen kann. Zu den Grundleistungspflichten des objektüberwachenden Architek...