Rz. 12
Die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ist der gesetzliche Regelfall. Hat der Erblasser die Vererblichkeit nicht ausgeschlossen, so ist das Anwartschaftsrecht auch dann vererblich, wenn der Erblasser gar nicht an die Möglichkeit gedacht hatte, dass der Nacherbe den Nacherbfall nicht erlebt.
Das Anwartschaftsrecht geht auf die Erben des Nacherben über. Ob gesetzliche oder testamentarische Erbfolge eintritt, ist unerheblich. Mehrere Erben des Nacherben bilden auch in Ansehung der Nacherbenanwartschaft eine Erbengemeinschaft.
Rz. 13
Steht eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung neben der gesetzlichen Möglichkeit der Vererbung des Nacherbenanwartschaftsrechts, so fragt sich, ob damit die Ersatznacherben zum Zuge kommen, oder ob ein Nacherbe seine Anwartschaft nach § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB an seine Erben vererbt. Die Antwort muss durch Auslegung der letztwilligen Verfügung gefunden werden. In der Anordnung von Ersatznacherbschaft liegt nach einer verbreiteten Literaturmeinung nicht ohne Weiteres ein Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft.
Rz. 14
Das BayObLG vertritt jedoch die Ansicht, dass bei zweifelsfreier Ersatznacherbenbestimmung die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen ist.
BayObLG:
Zitat
"Die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts nach § 2108 Absatz 2 Satz 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn zweifelsfrei Ersatznacherben auch für den Fall des Versterbens der zunächst in Betracht kommenden Nacherben vor dem Nacherbfall bestimmt sind."
Rz. 15
Außerdem: Hat ein Erblasser ausdrücklich einen Ersatznacherben bestimmt, so wird die Auslegung in der Regel ergeben, dass die Nacherbenstellung nicht vererblich sein soll. Im Wege der Auslegung kann man damit auch zu dem Ergebnis kommen, dass das Nacherbenanwartschaftsrecht nicht vererblich sein sollte, sondern die Ersatznacherbenregelung demgegenüber Vorrang hat. Und die konkrete Testamentsauslegung hat aus Gründen der Erbrechtsgarantie in Art. 14 GG Vorrang vor der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB.
Rz. 16
Sind zwischen der Testamentserrichtung und dem Erbfall Veränderungen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eingetreten, so ist im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung zu ermitteln, was der Erblasser gewollt hätte, wenn er die eingetretene Entwicklung vorausgesehen hätte. Es ist also der vorausschauende, hypothetische Wille des Erblassers zu erfragen. Die Grundsätze hypothetischer Testamentsauslegung sind seit der Rechtsprechung des Reichsgerichts in RGZ 99, 82 anerkannt. Dabei ist zu ermitteln, was nach dem Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen wäre, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte. Die Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens im Wege ergänzender Testamentsauslegung setzt voraus, dass dieser Wille in der Testamentsurkunde wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist.
Rz. 17
Auslegungsfragen sind immer mit einer großen Rechtsunsicherheit behaftet, weil subjektive Einschätzungselemente des Rechtsanwenders eine entscheidende Rolle spielen.
Bei der Ermittlung des Erblasserwillens ist zu prüfen, ob die Sicherung des Vermögens in den Händen der Familie, was zum Vorrang des § 2069 BGB führt, oder die Einräumung einer verwertbaren Rechtsposition für den Nacherben, was für die Annahme der Vererblichkeit spricht, vorrangiger Grund für die Nacherbeneinsetzung war. In der ausdrücklichen Benennung eines Ersatznacherben liegt aber wohl der konkludente Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenrechte.
Aufgrund der durch die Auslegung verbleibenden Unsicherheiten empfiehlt sich schon bei der Gestaltung von Verfügungen von Todes wegen mit Vor- und Nacherbschaft – falls vom Erblasser gewünscht – mit aufzunehmen, dass bei einer Übertragung der Nacherbenrechte auf den Vorerben auch alle tatsächlichen oder stillschweigenden Ersatznacherbeneinsetzungen entfallen.