I. Das Rechtsverhältnis zwischen Vorerbe und Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles
Rz. 1
Wesentlich für die Nacherbschaft ist, dass der Nacherbe nicht schon mit dem Tode des Erblassers dessen Erbe wird. Die Erbschaft fällt vielmehr zunächst einem anderen an, dem Vorerben. Erst mit einem vom Erblasser letztwillig vorgesehenen oder sich aus dem Gesetz ergebenden Ereignis, dem Nacherbfall, geht die Erbschaft gem. § 2139 BGB auf den Nacherben über. Deshalb spricht man beim Vorerben auch vom Erben auf Zeit – evtl. auf Lebenszeit. Das Recht des Nacherben ist jedoch in verschiedener Hinsicht gesetzlich abgesichert. Von Bedeutung sind insbesondere sein quasidingliches Anwartschaftsrecht nach § 2108 Abs. 2 BGB, die unmittelbar wirkende Surrogation nach § 2111 BGB, die Verfügungsbeschränkungen des Vorerben (§§ 2113 ff. BGB), die Verpflichtung des Vorerben zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses (§ 2130 BGB) sowie die Ansprüche auf Auskunft (§ 2127 BGB) und Sicherheitsleistung (§ 2128 BGB).
II. Kombination zwischen teilweiser Vor-/Nacherbschaft und teilweiser Vollerbschaft
Rz. 2
Der Erblasser muss nicht zwingend seinen gesamten Nachlass der Vor- und Nacherbfolge unterwerfen, vielmehr kann er auch nur bezüglich eines Erbteils Vor- und Nacherbfolge anordnen und bezüglich der anderen Teile eine Vollerbschaft anordnen. Solche Konstruktionen kommen vor allem in der Patchworksituation in Betracht.
Beispiel
Der Erblasser setzt seine zweite Ehefrau zur Hälfte zur Vorerbin ein, zur anderen Hälfte seine erstehelichen Kinder zu Vollerben, und außerdem diese erstehelichen Kinder als Nacherben bezüglich des Erbteils seiner Ehefrau.
Rz. 3
Weil die als Gesamthandsgemeinschaft konstruierte Erbengemeinschaft nur ideelle Anteile am ganzen Nachlass kennt, führt die angeordnete Vor- und Nacherbschaft dazu, dass der gesamte Nachlass so lange den Beschränkungen einer Vor- und Nacherbschaft unterliegt, bis eine Nachlassauseinandersetzung stattgefunden hat und die dem Vorerben zugewiesenen Nachlassteile nach wie vor der Nacherbschaft unterliegen, weil insoweit ein dingliches Surrogat gem. § 2111 BGB den Nacherben zur Verfügung steht.
III. Anwartschaftsrecht des Nacherben zwischen Erbfall und Nacherbfall
1. Begriff eines Anwartschaftsrechts
Rz. 4
Nach Eintritt des Erbfalls besteht die Rechtsstellung des Nacherben darin, dass er die Aussicht darauf hat, später einmal Erbe zu werden. Diese Aussicht wird durch die gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen des Vorerben schon vor Eintritt des Nacherbfalls gesetzlich abgesichert. Der Erbfall bewirkt daher einen gewissen Voranfall der Nacherbschaft an den Nacherben, da er nun eine gesicherte Erwartung hat, mit dem Nacherbfall die Erbschaft zu erlangen. Vor- und Nacherben sind keine Miterben und auch nicht mit diesen vergleichbar, da der Erblasser nicht von ihnen gleichzeitig, sondern nacheinander beerbt wird. Zwischen dem Vorerben einerseits und dem Nacherben andererseits besteht keine Erbengemeinschaft.
Rz. 5
Dem Nacherben steht mit Eintritt des Erbfalls ein Anwartschaftsrecht zu. Von einem Anwartschaftsrecht spricht man bei einem Sachverhalt, bei dem von dem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition gesprochen werden kann, die der andere, an der Entstehung des Rechts Beteiligte, nicht mehr durch eine einseitige Erklärung – oder durch das Unterlassen einer Erklärung – zu zerstören vermag. Der Nacherbe erwirbt mit dem Erbfall ein solches unentziehbares Anwartschaftsrecht, das regelmäßig vererblich und übertragbar ist (§ 2108 Abs. 2 S. 1 BGB).
2. Primärnacherbe, Ersatznacherbe und Nach-Nacherbe als Anwartschaftsrechtsinhaber
Rz. 6
Auch die Position des Ersatznacherben stellt bereits ein Anwartschaftsrecht dar, das ebenfalls – vorbehaltlich anderer Anordnungen des Erblassers – frei übertragbar und vererblich ist. Demnach bestehen von Anfang an zwei Anwartschaftsrechte:
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das des Primärnacherben und |
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das des Ersatznacherben. |
Damit erlischt mit einer wirksamen Übertragung des Anwartschaftsrechts von Seiten des Primärnacherben dessen Anwartschaftsrecht durch Konsolidation, jedoch wird der Vorerbe nicht Vollerbe, da noch das Anwartschaftsrecht des Ersatznacherben bestehen bleibt.
Rz. 7
Probleme bereitet zuweilen jedoch schon die Feststellung, ob überhaupt Ersatznacherben vorhanden sind. Zu beachten ist nämlich, dass die Benennung eines Ersatznacherben nicht immer ausdrücklich durch den Erblasser erfolgt sein muss. Vielmehr kann sie sich auch durch individuelle Auslegung des Testamentes oder in Anwendung der in § 2069 BGB enthaltenen Ergänzungsregel ergeben. Bei der Auslegung eines Testamentes ohne ausdrückliche Benennung eines Ersatznacherben kann sich ein Konflikt zwischen der Norm des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB, welche die grundsätzliche Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaftsrechte anordnet, und der Norm des § 2069 BGB, die im Falle der Erbeinsetzung eines Abkömmlings die Vermutung der Ersatzerbeneinsetzung nach Stämmen aufstellt, ergeben.
Rz. 8
Hat der Erblasser eine gestaffelte, auch gestuft genannte Nacherbfolge ("Nach-Nacherbfolge") angeordnet, dann hat auch der Nach-Nacherbe bzw. haben die Nach-N...