1. Die Vor- und Nacherbschaft im Verhältnis zur EuErbVO
a) Rechtsunsicherheit wg. Verfügungsbeschränkungen des Vorerben
Rz. 36
Die Vor- und Nacherbfolge wird in der EuErbVO an keiner Stelle erwähnt.
Die EuErbVO schafft im Hinblick auf die Vor- und Nacherbschaft neue Probleme, weil nicht alle Mitgliedstaaten die Vor- und Nacherbschaft kennen. Der Vorerbe kann nicht ohne Weiteres über die Vorerbschaft verfügen. Solche Verfügungsbeschränkungen kennen nicht alle Rechtsordnungen. Die Vor- und Nacherbfolge wird ggf. beim Behindertentestament, beim Geschiedenentestament und in Fällen gewählt, in denen der Erblasser sicherstellen will, dass Vermögen letztlich dem Nacherben zugutekommt. Der Gestaltungstyp des Behindertentestaments ist dadurch gekennzeichnet, dass die Vor- und Nacherbfolge letztlich in guter Absicht zum Vorteil des Vorerben eingesetzt wird. Diese Gestaltung ist mit Blick auf die EuErbVO nicht problematisch.
Nur noch begrenzt zuverlässig ist demgegenüber die Verwendung der Vor- und Nacherbfolge, wenn es darum geht, den Vorerben notfalls gegen seinen Willen in seiner Verfügungsfreiheit einzuschränken.
Rz. 37
Die EuErbVO führt bei Vor- und Nacherbfolge zu neuen Problemen, die die Verlässlichkeit der Konstruktion einschränkt. Die Einschränkungen betreffen auch Fälle, die zum Gestaltungszeitpunkt noch als reine Inlandsfälle erscheinen und ihren Auslandsbezug erst durch den späteren Wegzug eines Beteiligten erhalten. Problematisch ist, dass das deutsche Erbrecht einen Eigentümer aufgrund erbrechtlicher Bestimmungen in seiner erbrechtlichen Verfügung über einen ihm gehörenden Vermögensgestand einschränkt. Hierfür lassen sich weitere Beispiele nennen, etwa das Herausgabevermächtnis oder das Vor- und Nachvermächtnis.
Rz. 38
Die Vor- und Nacherbfolge setzt voraus, dass nach dem Tod des Vorerben trotz seiner Stellung als Eigentümer der Vorerbschaft die letztwilligen Verfügungen eines Dritten, nämlich des ursprünglichen Erblassers, als maßgeblich für die Bestimmung des erbrechtlich Berechtigten behandelt werden.
Rz. 39
Mögliche Risiken zu identifizieren ist ein erster Schritt, der zweite ist Alternativen und Lösungen zu entwickeln. Dabei darf nicht übersehen werden, dass rechtliche und tatsächliche Unsicherheiten letztlich jeder Gestaltung anhaften. Es ist nichts gewonnen, aus Furcht vor einem Risiko in eine andere Gestaltung zu flüchten, die vielleicht noch größere Unsicherheiten birgt. Entscheidend ist daher, die jeweiligen Risiken zu identifizieren und dem Mandanten eine informierte Auswahlentscheidung zu ermöglichen.
Dem Risiko, das aus dem Wegzug des Vorerben ins Ausland für den Nacherben folgt, kann dadurch begegnet werden, dass der Nacherbfall nicht nur durch den Tod des Vorerben, sondern auch durch seinen Wegzug ins Ausland ausgelöst wird.
b) Zuständigkeiten für die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
Rz. 40
Deshalb sind in diesem Zusammenhang Zuständigkeitsfragen von entscheidender Bedeutung. Insbesondere sind von Bedeutung die Zuständigkeitsregeln für die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ).
Das Nachlassgericht eines Mitgliedstaates, der die Vor- und Nacherbschaft kennt, wird die Vor- und Nacherbschaft in das ENZ aufnehmen, nicht aber das Nachlassgericht eines Mitgliedstaates, der die Vor- und Nacherbschaft nicht kennt.
Rz. 41
Die internationale Zuständigkeit zur Ausstellung eines ENZ folgt der gerichtlichen Zuständigkeit im streitigen Verfahren, Art. 64 EuErbVO. Zuständig sind die Gerichte des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 4 EuErbVO. Da das Erbstatut gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft wird, können diese Behörden die Erbfolge regelmäßig nach ihrem eigenen Recht beurteilen.
Rz. 42
Hatte der Erblasser gem. Art. 22 EuErbVO für die Erbfolge sein Heimatrecht gewählt, so können gem. Art. 7 EuErbVO unter bestimmten weiteren Bedingungen die Gerichte des Heimatstaates das ENZ erteilen, wenn z.B. die Beteiligten eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen (Art. 5 EuErbVO), sie sich auf ein im Heimatstaat eingeleitetes Verfahren einlassen oder wenn das Gericht des Aufenthaltsstaates davon überzeugt ist, dass die Gerichte des Heimatstaates in der Sache besser entscheiden können und ein Verfahrensbeteiligter einen Antrag auf Abgabe der Sache stellt.
2. Die Anerkennung eines in Deutschland erteilten ENZ in allen Mitgliedstaaten
Rz. 43
Aus Art. 69 Abs. 5 EuErbVO ergibt sich, dass das in einem Mitgliedstaat ausgestellte ENZ im Hinblick auf Eintragungen in ein nationales Register die vollen Legitimationswirkungen entfaltet, also auch in Bezug auf ein ausländisches Grundbuch bzw. Grundstücksregister. Damit überwindet das ENZ die innerhalb der Mitgliedstaaten ganz unterschiedlichen Systeme im Erbrecht, im Sachenrecht und im Nachlassverfahrensrecht.
Ein von einem deutschen Nachlassgericht erteiltes ENZ, das eine Vor- und Nacherbfolge ausweist, muss deshalb auch in einem Mitgliedstaat anerkannt werden, das die Vor- und Nacherbschaft nicht kennt.
Sollte ein ENZ unrichtig sein in Bezug auf die angeordnete Nacherbfolge, so dürften dem Nacherben die gleichen Recht...