A. Allgemeines

 

Rz. 1

 

Achtung: Überleitung ins Strafverfahren

Da das Gericht das Verfahren (schon vor der Hauptverhandlung) in ein Strafverfahren überleiten kann mit der Folge (siehe Rdn 48 ff.), dass der Betroffene den Einspruch danach nicht mehr zurücknehmen kann, muss bei bestimmten Vorwürfen die Frage, ob Einspruch eingelegt werden soll, besonders sorgfältig geprüft werden.

I. Zwischenverfahren

 

Rz. 2

Die Reform des OWi-Rechtes hat das Zwischenverfahren bei der Staatsanwaltschaft abgeschafft. Nach Einspruchseinlegung gibt die Verwaltungsbehörde die Sache zwar immer noch an die Staatsanwaltschaft ab und diese behält ihre Stellung als Verfolgungsbehörde mit der Befugnis zur ergänzenden Ermittlung (was in der Praxis selten vorkommt).

 

Rz. 3

Die früher der Staatsanwaltschaft zustehende Befugnis, die Sache wegen ungenügender Ermittlungen an die Verwaltungsbehörde zurückgeben zu können, ist auf den Richter übergegangen. Nur er kann noch bei offensichtlich ungenügender Aufklärung die Sache unter Angabe der Gründe an die Bußgeldbehörde zurückverweisen und gegebenenfalls durch unanfechtbaren Beschluss die erneute Übernahme ablehnen (§ 69 Abs. 5 OWiG).

II. "reformatio in peius"

 

Rz. 4

Es gilt kein Verbot der Schlechterstellung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.10.2018 – IV-2 RBs 195/18, juris), auch nicht für die Bußgeldbehörde (z.B. im Falle der Rücknahme und des anschließenden erneuten Erlasses eines Bußgeldbescheides).

 

Rz. 5

 

Tipp: Faires Verfahren

Das LG Münster (zfs 2003, 152) vertritt dagegen die Auffassung, dass die Grundsätze eines fairen Verfahrens eine Erhöhung der Sanktionen dann verböten, wenn sich in der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen den Strafbefehl (Bußgeldbescheid) keine anderen Umstände ergeben, als sie im Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls (Bußgeldbescheides) bekannt waren.

B. Einspruchsberechtigt

I. Gesetzlicher Vertreter

 

Rz. 6

Neben dem Betroffenen kann sein gesetzlicher Vertreter Einspruch einlegen (§ 298 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG).

II. Verteidiger

 

Rz. 7

Der Verteidiger kann im eigenen Namen Einspruch einlegen (§ 297 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 1 S. 2 OWiG), allerdings nicht gegen den Willen des Betroffenen (OLG Karlsruhe Die Justiz 1992, 485). Ein gegen den Willen des Mandanten eingelegter Einspruch ist unwirksam (OLG Karlsruhe DAR 2002, 86).

C. Adressat

 

Rz. 8

Der Einspruch kann nur an die Verwaltungsbehörde gerichtet werden, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (BVerfGE 57, 117), der an die falsche Behörde gerichtete Einspruch kann die Frist nicht wahren (LG Berlin NZV 2010, 421).

D. Frist

I. Zwei Wochen

 

Rz. 9

Der Einspruch muss binnen zwei Wochen bei der Verwaltungsbehörde eingehen. Die Frist wird nach den Vorgaben der §§ 42, 43 StPO berechnet.

II. Fristbeginn

 

Rz. 10

Nur die wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides setzt die Frist in Gang (OLG Koblenz VRS 68, 216).

 

Rz. 11

 

Tipp

Zur Unwirksamkeit der Zustellung eines Bußgeldbescheides siehe die Ausführungen zur Verfolgungsverjährung (vgl. § 28 Rdn 66 ff.).

III. Fristende

 

Rz. 12

Die Frist kann bis zur Grenze ausgeschöpft werden (BVerfGE 69, 381), d.h., sie endet nicht mit der Dienstzeit der Behörde, sondern um 24.00 Uhr des letzten Tages der Frist. Der per Telefax nach Dienstschluss übermittelte Einspruch wahrt daher die Frist, sofern das Einspruchsschreiben vor 24.00 Uhr auf dem Empfangsgerät der Behörde aufgelaufen ist (KG NJW 1997, 1864).

 

Rz. 13

Ansonsten spielt es keine Rolle, ob eine Zugangskontrolle eingerichtet ist (BVerfG NJW 1991, 2076) oder ob mit einer Leerung des Briefkastens an demselben oder nächsten Tag nicht mehr gerechnet werden kann (BGH NJW 1984, 1237).

IV. Wiedereinsetzung wegen Fristversäumung

1. Unterbliebene Unterrichtung des Verteidigers

 

Rz. 14

Zwar wird die Wirksamkeit der Zustellung nicht davon berührt, dass die formelle Unterrichtung des Verteidigers unterblieben ist, nach h.M. besteht dann aber ein Wiedereinsetzungsgrund (BayObLG NZV 2000, 380; LG Zweibrücken NZV 2007, 430; LG Siegen zfs 2010, 289).

2. Zustellung durch Niederlegung

 

Rz. 15

Auch wenn der Bußgeldbescheid dem Betroffenen durch Niederlegung zugestellt worden war, ist ihm dann, wenn er unverschuldet nicht rechtzeitig Kenntnis von dem Bußgeldbescheid erlangt, im Grundsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Säumnis ist jedoch nicht unverschuldet, wenn der Betroffene noch während laufender Frist von der Niederlegung erfährt und nicht sofort geeignete Maßnahmen ergreift. Dies gilt selbst dann, wenn er erst am letzten Tag der Frist Kenntnis erhält (BVerfGE 31, 338).

 

Rz. 16

 

Tipp

Zur Wiedereinsetzung bei unterbliebener oder verspäteter Benachrichtigung des Verteidigers siehe Kapitel 4 – Zustellungen (vgl. § 4 Rdn 7 ff.).

3. Postverzögerung

 

Rz. 17

Der Betroffene kann auf den normalen Postbeförderungsweg vertrauen. Im Falle erheblicher Verzögerungen ist Wiedereinsetzung zu gewähren (BVerfG NJW 1975, 1405). Selbst vor Feiertagen darf der Betroffene auf die normalen (und von der Post neuerdings garantierten) Laufzeiten vertrauen (BVerfG, Beschl. v. 11.11.1999 – 1 BvR 762/99).

4. Ausländer

 

Rz. 18

Aus § 184 GVG, der vorschreibt, dass Straf- oder Bußgeldverfahren in deutscher Sprache zu führen sind, hat die Rechtsprechung früher (BVerfGE 64, 135) geschlossen, dass Ausländer keinen Anspruch darauf haben, dass für sie bestimmte Schreiben in ihrer Muttersprache abgefasst sind. Dass dies zumindest für di...

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