Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 516
Der Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, Störungen des Betriebsfriedens oder Betriebsablaufs zu vermeiden (BAG v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15, Rn 49). Dies entspricht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens und der Einhaltung der betrieblichen Ordnung als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsorganisation (BAG v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15, Rn 49). Der Erhalt des Betriebsfriedens stellt nach der Rechtsprechung des BVerfG ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB dar, da eine Störung seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG berührt (vgl. BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 93, 352). Der Arbeitnehmer hat sich demzufolge dem Arbeitgeber ggü. im Allgemeinen loyal zu verhalten. Deshalb kann es pflichtwidrig sein, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskollegen auffordert, ihre arbeitsvertraglichen Leistungspflichten ggü. dem Arbeitgeber nicht oder nicht ordnungsgemäß zu erfüllen. Ebenso kann der Arbeitnehmer gegen die von ihm zu wahrenden Interessen des Arbeitgebers verstoßen, wenn er ihn bei Kunden diskreditiert. Auch ein bewusst illoyales Verhalten gegenüber Vorgesetzten kann abhängig von den Umständen des Einzelfalles einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. BAG v. 13. 4. 2000 – 2 AZR 259/99, zu II 4 der Gründe, BAGE 94, 228). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine tatsächliche Störung des Betriebsfriedens verursacht hat (vgl. hierzu BAG v. 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, BAGE 58, 37). Ein Grund zur fristlosen Kündigung kann beispielsweise vorliegen, wenn sich eine Geschäftsführerin eines Vereins gegenüber dem Präsidenten des Vereins in hohem Maße illoyal verhalten und damit den Vereinsfrieden erheblich gestört hat (BAG v. 1.6.2017 – 6 AZR 720/15, Rn 47).
Rz. 517
Der Arbeitnehmer kann insb. dann gegen seine Interessenwahrungspflichten ggü. dem Arbeitgeber verstoßen, wenn er bei Verhandlungen über geänderte Arbeitsbedingungen damit droht, dass er im Fall einer Versetzung oder Kündigung die Presse einschalten oder seine Kundenkontakte zum Nachteil des Arbeitgebers ausnutzen werde (vgl. BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, BB 1999, 1166; siehe auch Rdn 530).
Rz. 518
Besondere Loyalitätspflichten haben Arbeitnehmer in Tendenzbetrieben, die als sog. Tendenzträger durch ihre Arbeit an der Verwirklichung einer bestimmten geistig-ideellen Zielsetzung des Unternehmens mitwirken sollen. Dies gilt insb. für Beschäftigte, die bei karitativen Einrichtungen, Religionsgesellschaften oder Kirchen tätig sind (vgl. dazu Rdn 478 f.).
Rz. 519
Eine Störung des Betriebsfriedens kann indes auch Folge einer berechtigten Interessenwahrnehmung durch den Arbeitnehmer sein (BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, Rn 47). Auf den Erhalt des Betriebsfriedens gerichtete Verhaltenspflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB bedürfen daher einer Konkretisierung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen und grundrechtlichen Gewährleistungen (BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, Rn 47). Allein der Umstand, dass eine Störung eingetreten ist, genügt nicht für die Annahme, ein Arbeitnehmer, der dazu beigetragen hat, habe auch seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers verletzt (BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, Rn 47). Für sich genommen stellt selbst eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Betriebsfriedens noch keine Pflichtverletzung dar, sondern nur deren mögliche Folge (BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, Rn 47; BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 63/03, zu B III 2 der Gründe). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, auf das betriebliche Miteinander bezogene Verhaltenspflichten durch (mitbestimmte) betriebliche Regelungen oder Einzelweisungen in Ausübung seines Direktionsrechts gem. § 106 S. 2 GewO selbst konkret festzulegen (BAG v. 30.7.2020 – 2 AZR 43/20, Rn 48).