Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
a) Allgemeiner Regelungsgehalt
Rz. 951
Um eine stärkere Sicherung des Personenkreises der betriebsverfassungsrechtlichen Organmitglieder zu erreichen, setzt nach dem BetrVG eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes die Zustimmung des Betriebsrates als Gremium voraus (§ 15 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG). Es soll dadurch unmöglich gemacht werden, Betriebsratsmitglieder oder andere betriebsverfassungsrechtliche Amtsträger durch willkürliche außerordentliche Kündigungen aus dem Betrieb zu entfernen und durch Ausnutzung der möglichen Rechtsmittel das Verfahren so zu behandeln, dass inzwischen das von einer Kündigung betroffene Betriebsratsmitglied dem Betrieb entfremdet wird und keine Aussicht auf eine Wiederwahl hat. Zweck der Regelung ist also der Schutz der Amtsführung. Durch das Zustimmungserfordernis soll ebenso wie durch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung in § 15 KSchG sichergestellt werden, dass die Arbeitnehmer ihr Amt unbefangen und ohne Furcht vor Konsequenzen für ihr Arbeitsverhältnis ausüben können (BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 163/03, NZA 2005, 600). Andererseits gewährleistet diese Vorschrift, dass bis zu einer gerichtlichen Klärung der vom Arbeitgeber erhobenen Vorwürfe im Zustimmungsersetzungsverfahren das Organmitglied seine betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen ausüben kann. Sie dient damit auch dem Schutz der Arbeitnehmer vor Ausschließung ihrer gewählten Vertreter (BAG v. 23.1.2002 – 7 AZR 611/00, BAGE 100, 204; BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 163/03, NZA 2005, 600). Die Regelungen sind zwingend. Dies bedeutet: Auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG kann im Voraus weder individual- noch kollektivvertraglich verzichtet werden. Nach dem Zugang der Kündigung kann aber wirksam auf dessen Geltendmachung verzichtet werden (BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064). Die nicht auf den Individualschutz beschränkte Schutzrichtung bedingt, dass § 15 KSchG kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist (BAG v. 14.2.2002 – 8 AZR 175/01, NZA 2002, 1027). Maßgeblich für die Beurteilung, ob und inwieweit der Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz genießt, ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.
b) Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 952
Der besondere Kündigungsschutz der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG erstreckt sich im Ausgangspunkt auf die Mitglieder des Betriebsrates, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrates. Geschützt werden hierdurch auch die Mitglieder des Gesamt- oder Konzernbetriebsrates. Dies ergibt sich schon daraus, dass in solche Gremien nur Mitglieder der Betriebsräte in Betrieben entsandt werden können und durch die vorgenannten Bestimmungen geschützt werden. Der Sonderkündigungsschutz gilt auch in Kleinbetrieben. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nimmt Kleinbetriebe nur von bestimmten Vorschriften des 1. Abschnitts des KSchG aus, nicht aber von dem im 2. Abschnitt verankerten § 15 KSchG. § 15 KSchG gilt auch für Kündigungen, die in der Insolvenz eines Unternehmens ausgesprochen werden (BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370).
Rz. 953
Wird nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG eine andere Vertretung der Arbeitnehmer errichtet, so genießen auch sie den besonderen Kündigungsschutz, da diese Vertretung und deren Mitglieder an die Stelle der im BetrVG geregelten Vertretung tritt. Nach § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG finden auf die so gebildeten Arbeitnehmervertretungen die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrates und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung. Dementsprechend stehen diesen Vertretungen sämtliche Mitwirkungsrechte zu. Auch kommt ihnen der Kündigungsschutz des § 15 KSchG zu.
Rz. 954
Keinen besonderen Kündigungsschutz haben die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, sofern sie nicht Mitglieder des Betriebsrates sind. Gleiches gilt für Mitglieder von Einigungsstellen oder betrieblichen Schlichtungsstellen und die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (BAG v. 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, NJW 1974, 1399).
Rz. 955
Ersatzmitglieder des Betriebsrates haben im Grundsatz keinen besonderen Kündigungsschutz, denn sie sind keine Mitglieder des Betriebsrates. Erst wenn sie an die Stelle eines ausgeschiedenen oder zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitgliedes des Betriebsrates treten, werden sie zum Mitglied des Betriebsrates. Der besondere Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG gilt für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten. Ein ordentliches Betriebsratsmitglied ist i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG zeitweilig verhindert, wenn es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Diese Voraussetzung ist während eines Erholungsurlaubs jedenfalls dann erfüllt, wenn das Betriebsratsmitglied nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeit zur Verfügung zu stehen. Allerdings ist das Betriebsratsmitglied nicht allein deshalb im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG zeitweilig verhindert, weil es arbeitsfrei hat. Anders als...