Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 531
Die unerlaubte oder übermäßige Nutzung dienstlicher Kommunikationsmittel, wie Telefon, Internet und E-Mail, für private Zwecke kann Anlass zu einer verhaltensbedingten Kündigung sein. Eine ordentliche Kündigung kann namentlich dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer verbotswidrig wiederholt betriebliche Kommunikationsmittel privat nutzt, obwohl er zuvor einschlägig abgemahnt worden ist. Ob und inwieweit eine Abmahnung nicht erforderlich ist oder eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles.
Rz. 532
Eine Kündigung wegen unerlaubter Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten verletzt hat. Dabei kommt es zunächst entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gestattet hat, die betrieblichen Kommunikationsmittel zu privaten Zwecken zu nutzen. Ein Anspruch auf Privatnutzung besteht grds. nicht. Es obliegt der freien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers, ob und in welchem Umfang er seinen Arbeitnehmern die private Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel gestattet. Er kann die private Nutzung seiner Kommunikationsmittel auch vollständig verbieten.
Rz. 533
Verstößt der Arbeitnehmer gegen ein ausdrückliches Verbot, kann dies einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen (BAG v. 27.4.2006, AP Nr. 202 zu § 626 BGB), insb., wenn zugleich die Arbeitspflicht verletzt wird. Letzteres ist namentlich der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer die Zeit, die er verbotswidrig mit der Privatnutzung betrieblicher Kommunikationsmittel zugebracht hat, als Arbeitszeit bezahlen lässt. Eine vorherige Abmahnung ist nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG v. 7.7.2005, AP Nr. 192 zu § 626 BGB). Ein solches kann vorliegen, wenn sich der Arbeitnehmer einen nach Inhalt und Umfang schwerwiegenden Verstoß gegen das Verbot der Privatnutzung zuschulden hat kommen lassen (BAG v. 7.7.2005, AP Nr. 192 zu § 626 BGB; BAG v. 12.1.2006, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; BAG v. 27.4.2006, EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 11; BAG v. 31.5.2007, AP Nr. 57 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Ein als Systemadministrator beschäftigter Arbeitnehmer, der seine Administratorrechte missbraucht und im Intranet nach privaten E-Mail-Dokumenten anderer Mitarbeiter recherchiert und deren Inhalt zur Kenntnis nimmt, begeht eine Pflichtverletzung, die einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt (LAG München v. 8.7.2009 – 11 Sa 54/09, CR 2010, 269). Das Gleiche gilt, wenn ein Systemadministrator unter Missbrauch seiner Administratorenrechte Zugriff auf E-Mail-Anhänge im Postfach des Vorstandes seines Arbeitgebers nimmt und diese ausdruckt (LAG Köln v. 14.5.2010, NZA-RR 2010, 579).
Rz. 534
Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Frage, ob der Arbeitnehmer gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen hat, entstehen, wenn der Arbeitgeber die Befugnisse der Arbeitnehmer in Hinblick auf die private Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel nicht klar geregelt hat. Dies ist i.d.R. der Fall, wenn die private Nutzung vom Arbeitgeber nur geduldet wird und zweifelhaft ist, in welchem Umfang Arbeitnehmer zur privaten Nutzung befugt sind. In solchen Fällen wird eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer die betrieblichen Kommunikationsmittel "exzessiv" und nicht nur "minutenweise" für seine privaten Zwecke genutzt hat (BAG v. 31.5.2007, AP Nr. 57 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Nach Ansicht des LAG Niedersachsen liegt eine exzessive Nutzung jedenfalls dann vor, wenn ein Mitarbeiter über einen Zeitraum von mehr als 7 Wochen arbeitstäglich mehrere Stunden mit dem Schreiben und Beantworten privater E-Mails verbringt, an mehreren Tagen sogar in einem zeitlichen Umfang, der gar keinen Raum für die Erledigung von Dienstaufgaben lässt (LAG Niedersachsen v. 31.5.2010 – 12 Sa 875/09, MMR 2010, 639; vgl. aber OVG Niedersachsen v. 14.9.2011, MMR-Aktuell 322727, wonach eine exzessive Nutzung – bei bestehendem Verbot der privaten Nutzung, vgl. Ausgangsentscheidung des VG Hannover v. 17.11.2010, BeckRS 2010, 56560 – nicht vorliegen soll, wenn es in einem Überprüfungszeitraum von 7 Wochen an insgesamt 12 Tagen mit durchschnittlich einer Stunde täglich zu Auffälligkeiten gekommen ist). Regelmäßig wird die bloße Duldung der Privatnutzung betrieblicher Kommunikationsmittel Unterbrechungen der Arbeit nur in angemessenem zeitlichem Umfang rechtfertigen (BAG v. 7.7.2005, AP Nr. 192 zu § 626 BGB). In jedem Fall handelt der Arbeitnehmer pflichtwidrig, wenn er in großem Umfang Daten aus dem Internet auf betriebliche Datensysteme herunterlädt und damit die Gefahr möglicher Virenschäden oder anderer Störungen der EDV-Anlage des Arbeitgebers he...