Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 550
Tätliche Angriffe auf Arbeitskollegen oder auf den Arbeitgeber und dessen Angehörige sind Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, die schwer wiegen und zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Ordnung sowie aus Gründen der Fürsorgepflicht regelmäßig eine fristlose, in weniger schweren Fällen eine fristgemäße Kündigung rechtfertigen (BAG v. 12.7.1984, AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972; BAG v. 12.3.1987, AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972; aus der Rspr. der Instanzgerichte: LAG Frankfurt am Main v. 28.6.1977, NJW 1978, 444 = BB 1984, 1876; LAG Düsseldorf v. 26.8.1980, DB 1980, 2345; LAG Hamm v. 23.7.1981, BB 1981, 1642). Auch eine Tätlichkeit zulasten eines im Betrieb des Arbeitgebers eingesetzten Leiharbeitnehmers stellt einen erheblichen Verstoß gegen die dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf dessen Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, Rn 14; BAG v.18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, Rn 20). Der Arbeitgeber hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass die Zusammenarbeit auch mit in seinem Betrieb eingesetzten Fremdarbeitnehmern nicht durch tätliche Übergriffe beeinträchtigt wird (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, Rn 14).
Rz. 551
Bei Tätlichkeiten bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung grds. keiner Abmahnung, denn der Arbeitnehmer muss von vornherein wissen, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten nicht billigt (BAG v. 31.3.1993, AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; BAG v. 6.10.2005, NZA 2006, 431). Handelt es sich um einen arbeitsplatzbezogenen Pflichtenverstoß, ist eine Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeit zu prüfen, wenn dadurch eine bestehende persönliche Konfrontation und eine Wiederholungsgefahr vermieden werden können (BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NJW 1994, 1891 = NZA 1994, 40).
Rz. 552
Es gilt indes nicht der Grundsatz, dass jeder, der in eine Tätlichkeit oder Rauferei verwickelt ist, ohne weitere Prüfung fristlos oder jedenfalls fristgemäß entlassen werden kann. Wird der Arbeitnehmer durch grobe Beleidigungen provoziert oder von einem Arbeitskollegen angegriffen und lediglich deshalb in die Tätlichkeit hineingezogen, weil er sich zur Wehr setzt, muss der Vorgang vom Arbeitgeber aufgeklärt und geprüft werden. Der Beginn der zweiwöchigen Ausschlussfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB ist in diesem Fall nur so lange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Kündigungssachverhaltes notwendig erscheinenden Maßnahmen mit der gebotenen Eile auch tatsächlich durchführt (BAG v. 10.6.1988, AP Nr. 27 zu § 626 BGB; BAG v. 31.3.1993, NJW 1994, 1894 = NZA 1994, 409).