Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 427
Die Androhung oder Ankündigung einer Erkrankung kann ohne vorherige Abmahnung eine fristgerechte oder sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn die Äußerung die Bereitschaft des Arbeitnehmers zum Ausdruck bringt, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 24; BAG v. 12.3.2009 – 2 AZR 251/07, Rn 22). Es muss unterschieden werden, ob es sich um die Äußerung eines Arbeitnehmers handelt, der sich krank fühlt und eine ärztliche Untersuchung für erforderlich hält oder ob der Arbeitnehmer damit ein bestimmtes Ziel verfolgt, z.B. die Änderung der Schichteinteilung (LAG Hamm v. 23.5.1984 – 5 (8) Sa 226/84, DB 1985, 49) oder die Erteilung bzw. Verlängerung des Urlaubes (BAG v. 5.11.1992, NJW 1993, 1544). Es muss ferner berücksichtigt werden, ob der Arbeitnehmer sich ggü. Arbeitskollegen oder ggü. dem Arbeitgeber selbst oder einem Vorgesetzten äußert.
Rz. 428
Die angekündigte Arbeitsunfähigkeit kann Zweifel an der Richtigkeit der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen (LAG Hamm v. 27.5.1982, BB 1982, 1921), Arbeitsverweigerung bedeuten oder unter Umständen den Tatbestand der strafrechtlichen Nötigung erfüllen.
Rz. 429
Erklärt der Arbeitnehmer, er werde krank, wenn der Urlaub seinem Wunsch entsprechend nicht verlängert werde, obwohl er zum Zeitpunkt der Ankündigung nicht krank war und sich wegen fehlender Beschwerden auch nicht krank fühlen konnte, kann dieses Verhalten den Arbeitgeber gem. § 626 BGB zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen (BAG v. 5.11.1992 – 2 AZR 147/92, NJW 1993, 1544 = NZA 1993, 308). Die Umstände der Äußerung müssen aber in diesem Fall den Schluss zulassen, dass es dem Arbeitnehmer darum geht, die erstrebte Verlängerung der Arbeitsbefreiung notfalls auch ohne Rücksicht darauf zu erreichen, ob eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorliegt (LAG Köln v. 14.6.1982, DB 1982, 291). Wenn der Arbeitnehmer seine Rechte aus den gesetzlichen Bestimmungen zur Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall missbraucht, um den Arbeitgeber mit dem Ziel unter Druck zu setzen, einen unberechtigten Vorteil zu erreichen, verletzt er damit seine arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflichten in so starkem Maße, dass eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses mit Zukunftswirkungen eintritt. Ein solches Verhalten berührt den Vertrauensbereich und kann ohne vorherige Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Rz. 430
Eine andere Beurteilung ist jedoch anzustellen, wenn der Arbeitnehmer aus einem entstandenen Unmut ggü. Arbeitskollegen äußert, er werde sich einen Krankenschein nehmen. In diesem Fall können allenfalls Zweifel an der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung berechtigt sein, die ggf. durch Einschaltung des Medizinischen Dienstes überprüft werden können. Die Ankündigung einer Erkrankung kann auch dann nicht als Vertragsverweigerung gewertet werden, wenn der Arbeitnehmer sich bereits seit längerer Zeit krank fühlt, über objektiv vorliegende Beschwerden klagt und lediglich eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber zum Anlass nimmt, einen Arzt aufzusuchen.