Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 105
Nach herrschender Meinung findet der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei der Erfüllung von Ansprüchen, nicht aber hinsichtlich der Ausübung von Gestaltungsrechten Anwendung. Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, Rn 40; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, Rn 76; BAG v. 8.12.1994 – 2 AZR 470/93, zu B II 5 g der Gründe). Somit kann der Arbeitgeber prinzipiell einen Arbeitnehmer kündigen und einen anderen nicht, obwohl gleiche Kündigungsgründe vorliegen (BAG v. 22.2.1979 – 2 AZR 115/78, DB 1979, 1659; BAG v. 28.4.1982 – 7 AZR 1139/79, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG; Schaub/Linck, ArbRHB, § 130 Rn 35). Eine mittelbare Auswirkung auf die Interessenabwägung kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei gleicher Ausgangslage haben (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 302/16, Rn 40; BAG v. 22.2.1979 – 2 AZR 115/78, zu 2 a der Gründe). Allerdings geht es bei den meisten kündigungsrechtlichen Fallgestaltungen, die vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes diskutiert werden, im Ergebnis nicht um gleichbehandlungsrechtliche Probleme, sondern darum, ob dem kündigenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist (Schaub/Linck, ArbRHB, § 130 Rn 35). So ist es dem Arbeitgeber verwehrt, im Wege einer sog. herausgreifenden Kündigung nur das Arbeitsverhältnis eines einzelnen Arbeitnehmers zu kündigen, wenn die ihm zur Last gelegte Pflichtwidrigkeit zur gleichen Zeit auch von anderen Arbeitnehmern in vergleichbarem Maße begangen wurde. Kündigt der Arbeitgeber nur einem Arbeitnehmer, gleichsam um ein Exempel zu statuieren, kündigt er den anderen Mitarbeitern jedoch nicht, kann daraus geschlossen werden, dass es dem Arbeitgeber zumutbar ist, auch das Arbeitsverhältnis des gekündigten Arbeitnehmers fortzusetzen (BAG v. 22.2.1979 – 2 AZR 115/78, DB 1979, 1659, 1660; Schaub/Linck, ArbRHB, § 130 Rn 35).