Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 84
Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG kommt es auf die Arbeitnehmerzahl in dem Betrieb an, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist. § 23 Abs. 1 KSchG enthält ebenso wie das gesamte KSchG keine eigenständige Definition des Betriebsbegriffes. Es gilt daher im Wesentlichen der allgemeine Betriebsbegriff des § 1 BetrVG (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15; BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, Rn 12; BAG v. 3.6.2004 – 2 AZR 386/03, NZA 2004, 1380). Ein Betrieb ist danach die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mithilfe von materiellen oder immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfes erschöpfen (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15; BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, Rn 12). Dies setzt einen einheitlichen organisatorischen Einsatz der Sachmittel und Personalressourcen voraus (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15). Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dabei dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15; BAG v. 7.7.2011 – 2 AZR 476/10, Rn 36; BAG v. 28.10.2010 – 2 AZR 392/08, Rn 16). Mangels entgegenstehender Hinweise ist davon auszugehen, dass der Betriebsbegriff im gesamten Kündigungsschutzgesetz einheitlich gebraucht wird (BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, Rn 12). Entsprechend der Unterscheidung zwischen "Betrieb" und "Unternehmen" in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betriebsbegriff auch in § 23 Abs. 1 KSchG nicht mit dem des Unternehmens gleichzusetzen (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 15; BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15, Rn 12; BAG v. 17.1.2008 – 2 AZR 902/06, Rn 15 f.). Dies ist verfassungsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden (BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, zu B II 4 b bb der Gründe, BVerfGE 97, 169).
Rz. 85
Von Betrieben zu unterscheiden sind Betriebsteile. Betriebsteile verfügen über keinen eigenen Leitungsapparat. Betriebsteile, in denen ständig mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind, von denen drei wählbar sind, gelten gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als selbstständige Betriebe, wenn sie räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt und durch Aufgabenbereiche und Organisation eigenständig sind. Diese Fiktionswirkung gilt jedoch nicht für den Bereich des Kündigungsschutzes. Ein Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne setzt keine räumliche Einheit voraus (BAG v. 21.6.1995 – 2 AZR 693/94, AP Nr. 16 zu § 1 BetrVG; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831). Somit ist eine Betriebsstätte (auch Filiale, Geschäfts- und Zweigstelle), die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist, bei der Berechnung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG dem Hauptbetrieb hinzuzurechnen, wenn die wesentlichen Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten im Hauptbetrieb getroffen werden (BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831).
Das BAG hat dabei darauf abgestellt, dass gewisse organisatorische Strukturen in wirtschaftlich-kaufmännischer Hinsicht (Kalkulierung von Ausschreibungen nach Vorgaben der Geschäftsführung, Akquise von Aufträgen, Organisation der Arbeitsabläufe einschließlich der Zuweisung der Arbeitsschritte an die einzelnen Arbeitnehmer, Qualitätskontrolle und Überwachung der Termineinhaltung) für die Annahme eines selbstständigen Betriebes nicht ausreichen. Zu den wesentlichen (und damit entscheidenden) Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten gehören nach den Ausführungen des BAG die Erteilung von Abmahnungen, der Ausspruch von Kündigungen sowie die Wahrnehmung des Direktionsrechts (BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831, 832). Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast dürfen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers zur betrieblichen Organisation keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 22). Es ist in der Regel ausreichend, wenn dieser die äußeren Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass die Betriebsstätte, in der er beschäftigt ist, über keinen eigenständigen Leitungsapparat verfügt, diese vielmehr zentral gelenkt wird (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 22). Hat der Arbeitnehmer schlüssig derartige Umstände behauptet, hat der Arbeitgeber hierauf gem. § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Leitungsapparates für mehrere Betriebsstätten sprechen (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, Rn 22). Nach dem Prinzip der Sachnähe ist regelmäßig nur der Arbeitgeber in der Lage, nähere Auskunft über die betrieblichen Führungsstrukturen zu geben (BAG v. 2.3....