Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
aa) Begriff
Rz. 350
Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall seien Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG v. 18.1.1980, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Mit der Abmahnung missbilligt der Arbeitgeber ein Verhalten des Arbeitnehmers unter gleichzeitiger Androhung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sofern der Arbeitnehmer sein Verhalten nicht ändert (BAG v. 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, NZA 1994, 656).
bb) Dokumentations-, Rüge- und Warnfunktion
Rz. 351
Die Abmahnung erfüllt im Wesentlichen drei Zwecke. Sie soll zunächst das beanstandete Verhalten tatbestandsmäßig festhalten (Dokumentationsfunktion). Zudem hat sie eine Rügefunktion, da sie den Arbeitnehmer darauf hinweisen soll, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten als vertragswidrig einstuft. Schließlich kommt ihr eine Warnfunktion zu, indem sie dem Arbeitnehmer deutlich machen soll, dass im Wiederholungsfall eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses droht (BAG v. 15.1.1986, NZA 1986, 421; BAG v. 16.9.2004, NZA 2005, 459; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 481; teilweise weiter gehend BAG v. 10.11.1988, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Abmahnung: Arbeitnehmer soll bestraft werden; sowie BAG v. 13.11.1991, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung: andere Arbeitnehmer sollen abgeschreckt werden).
Rz. 352
Die Abmahnung erfüllt ihre Funktion als Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung namentlich also nur dann, wenn der Arbeitgeber mit ihr ein konkret pflichtwidriges Verhalten rügt. Er muss deutlich machen, dass er ein bestimmtes Verhalten nicht als vertragsgemäß hinnimmt, sondern als Verletzung des Arbeitsvertrages ansieht. Schlagwortartige Hinweise und Wertungen wie bspw. "fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit", "Unzuverlässigkeit", "der Umgang mit Kunden" oder "die Arbeitsleistungen lassen erneut zu wünschen übrig", "ungebührliches Verhalten", "mangelndes Interesse", "Führungsschwäche" oder dergleichen genügen nicht. Die Konkretisierungspflicht und die Dokumentationsfunktion der Abmahnung erfordern es, exakt darzulegen, welche konkreten Leistungsmängel oder Pflichtwidrigkeiten und welches Verhalten im Einzelfall gerügt werden und welcher konkrete Lebenssachverhalt die Grundlage der Rüge ist.
Rz. 353
Die Warnfunktion der Abmahnung wird erfüllt, wenn der Arbeitgeber für den Wiederholungsfall Konsequenzen androht, d.h. dem Arbeitnehmer vor Augen führt, dass er bei erneuter Pflichtwidrigkeit mit Maßnahmen rechnen muss, die sich abgestuft nach der Schwere und der Bedeutung der Pflichtverletzung z.B. als
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eine Versetzung, |
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eine Änderung des Arbeitsvertrages, |
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den Widerruf einer Leistungszulage oder Kürzung von freiwilligen Vergütungsbestandteilen oder |
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eine fristgemäße oder fristlose Kündigung |
darstellen können.
cc) Rechtsgrundlage
Rz. 354
Das Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung in Ausprägung des Gedankens eines abgestuften Vorgehens bei Leistungsstörungen ist keine Besonderheit des Arbeitsrechtes, sondern entspricht dem im Schuldrecht allgemein verwurzelten Prinzip, bei Leistungsstörungen zunächst die Möglichkeit der Abhilfe einzuräumen und erst dann zu einer Kündigung des Vertragsverhältnisses zu schreiten (sog. Übermaßverbot, vgl. §§ 314 Abs. 2, 541, 543 Abs. 3, 643 und 651e Abs. 2 BGB; ausführlich hierzu v. Hoyningen-Huene, RDA 1990, 193 ff.). Bei der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund bestimmt § 314 Abs. 2 BGB, dass die Kündigung bei einer Vertragspflichtverletzung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist. Im Fall des Rücktrittes wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistungen ist das Abmahnungserfordernis in § 323 Abs. 3 BGB ausdrücklich verankert.
Rz. 355
Im KSchR wird dieser Gedanke noch verstärkt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Arbeitgeber darf nach dem Ultima-Ratio-Prinzip erst dann zum äußersten Mittel der Kündigung greifen, wenn er dem Arbeitnehmer zuvor eine Chance gegeben hat, sich wieder vertragstreu zu verhalten. Mit dem Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung soll der mögliche Einwand des Gekündigten ausgeräumt werden, er habe nicht gewusst oder nicht damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber sein Verhalten als pflichtwidrig ansehe und deswegen zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greifen werde (BAG v. 18.11.1986, NZA 1987, 418).
Rz. 356
Allerdings ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insoweit auch nur i.R.d. normierten Kündigungsschutzes von Bedeutung (BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 579/99, NZA 2001, 951). Die Wirksamkeit einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen setzt außerhalb des Anwendungsbereiches des KSchG grds. nicht voraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zuvor vergeblich eine Abmahnung erteilt hat (BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 579/99, NZA 2001, 951; BAG v. 28.8.2003, NZA 2004, 1296).
Rz. 357
Hinweis
Es ist daher auch nicht zu empfeh...