Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 147
Die Erkrankung eines Arbeitnehmers stellt für sich genommen keinen Kündigungsgrund dar (APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 136). Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten scheiden jedoch andererseits nicht prinzipiell als Grund für eine personenbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers aus (vgl. Lepke, Kündigung bei Krankheit, S. 41 ff. m.w.N.). Dies folgt aus § 8 EFZG, nach welchem der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes nicht dadurch berührt wird, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt.
Rz. 148
Kündigungsgrund ist die Nicht- oder Schlechterfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung, sowie die dadurch verursachte erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers (BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, NZA 1990, 727, 728; BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, NZA 1991, 806). Die Erkrankung des Arbeitnehmers kann einerseits die Betriebsstörung verursachen, die sich i.d.R. darin äußert, dass der Arbeitsplatz unbesetzt bleibt. Andererseits bildet sie ggf. die Grundlage für die vom Arbeitgeber vorzunehmende Zukunftsprognose (APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 136).
Rz. 149
Die Kündigung kann auch während der Krankheit ausgesprochen werden. Aus Arbeitgebersicht ist dies sogar zu empfehlen. Andernfalls ließe sich argumentieren, der Arbeitnehmer sei genesen und könne seine Leistung erbringen und die betrieblichen Gründe für die Kündigung, wie z.B. Produktions- oder Betriebsablaufstörungen, seien weggefallen, nachdem die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr besteht.
Rz. 150
Kündigt der Arbeitgeber während der Erkrankung, hindert dies grds. nicht den Ablauf der Kündigungsfrist (APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 137). Tarifvertragliche Regelungen können hierzu aber Ausnahmen enthalten (Becker-Schaffner, ZTR 1997, 49).
Rz. 151
Eine Krankheit ist grds. keine Behinderung i.S.d. RL 2000/78/EG (EuGH v. 11.7.2006 – C 13/05, NZA 2006, 839). Wird eine Kündigung allein wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten ausgesprochen, stellt dies damit keinen Verstoß gegen die RL 2000/78/EG dar. Diese RL schützt nach dem Urteil des EuGH v. 11.7.2006 nur vor Ungleichbehandlung wegen einer Behinderung (EuGH v. 11.7.2006 – C 13/05, NZA 2006, 839; vgl. auch BAG v. 9.4.2007, EzA SGB IX § 81 Rn 15; BAG v. 28.6.2007 – 6 AZR 750/06, EzA BGB 2002 § 310 Rn 15). Eine Behinderung erfasse eine Einschränkung, die wahrscheinlich von langer Dauer sei, die sich insb. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückführen ließe und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bilde (EuGH v. 11.7.2006 – C 13/05, NZA 2006, 839, 730). Mit diesem Begriff könne der Krankheitsbegriff nicht gleichgesetzt werden. Die RL enthalte keine Hinweise darauf, dass Arbeitnehmer aufgrund des Verbotes der Diskriminierung wegen einer Behinderung im Schutzbereich der RL fielen, sobald sich eine Krankheit manifestiere. Deshalb würde ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber ausschließlich wegen Krankheit gekündigt worden sei, nicht vom Schutzbereich der RL 2000/78/EG erfasst (EuGH v. 11.7.2006 – C 13/05, NZA 2006, 839, 840).
Rz. 152
Ist allerdings eine Behinderung die Ursache für krankheitsbedingte Fehlzeiten, kann eine Kündigung gem. § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig sein, sofern nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG (zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen) vorliegen (vgl. Kock, ZIP 2006, 1551, 1553; Gaul/Naumann, ArbRB 2007, 15, 18).