Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 890
Schließlich kann die BA die Auswirkungen der gesetzlichen und der verlängerten Entlassungssperre dadurch abmildern, dass sie die Einführung von Kurzarbeit bis zum Ende der Entlassungssperre zulässt, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, die Arbeitnehmer während dieser Zeit voll zu beschäftigen, § 19 Abs. 1 KSchG. Zu beachten ist allerdings, dass tarifvertragliche Bestimmungen über die Einführung, das Ausmaß und die Bezahlung von Kurzarbeit vorrangig gelten, § 19 Abs. 3 KSchG.
Rz. 891
Die Einführung von Kurzarbeit nach § 19 KSchG erfordert eine positive Entscheidung (Zulassung) der Bundesagentur für Arbeit, die diese nach pflichtgemäßem Ermessen trifft. Die Bundesagentur für Arbeit hat bei ihrer Entscheidung die Voraussetzungen des § 19 KSchG zu beachten. D.h., für eine Zulassung von Kurzarbeit nach § 19 KSchG muss eine Massenentlassung im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG vorliegen, die wirksam angezeigt wurde. Außerdem muss für den Arbeitgeber eine Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG bestehen. Ohne eine Sperrfrist oder außerhalb einer Sperrfrist gibt es keine Zulassung der Kurzarbeit durch die Bundesagentur für Arbeit (Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 19 KSchG Rn 4). Darüber hinaus muss es dem Arbeitgeber unzumutbar sein, die Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Entlassungssperre voll zu beschäftigen. Für die Unzumutbarkeit ist auf die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers abzustellen. Schließlich erfordert die Einführung von Kurzarbeit einen ausdrücklichen Antrag des Arbeitgebers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit.
Rz. 892
Der Bescheid der Bundesagentur für Arbeit über die Einführung von Kurzarbeit führt nicht unmittelbar zur Kurzarbeit im Betrieb des Arbeitgebers. Vielmehr besteht für den Arbeitgeber damit nur die Möglichkeit zur einseitigen Einführung von Kurzarbeit. Entschließt sich der Arbeitgeber, von der Ermächtigung zur Kurzarbeit Gebrauch zu machen, muss er die Kurzarbeit ggü. den Arbeitnehmern ankündigen. Durch diese einseitige Gestaltungserklärung zur vorübergehenden Abänderung des Arbeitsvertrags kann zwar die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Einhaltung einer Frist angeordnet, allerdings die Arbeitsentgeltkürzung entsprechend der herabgesetzten Arbeitszeit erst zu dem Zeitpunkt bewirkt werden,
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an dem das Arbeitsverhältnis nach den allgemeinen gesetzlichen oder |
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den vereinbarten Bestimmungen |
enden würde. Gibt es keine individuell – wirksam – vereinbarten Kündigungsfristen im Arbeitsvertrag, so verweist § 19 Abs. 2 KSchG auf die "allgemeinen gesetzlichen" Fristen. Das hat zur Folge, dass für Arbeitnehmer, die sich ohnedies auf dauernde oder vorübergehende Unkündbarkeit berufen können, fiktiv die ohne den Sonderkündigungsschutz geltenden Fristen nach § 622 Abs. 1 BGB gelten. Der Verweis auf die allgemeinen gesetzlichen Fristen ist nicht dahin einschränkend auszulegen, dass die verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB nicht einbezogen sind. Zusätzliche finanzielle Belastungen durch die "Hürden" der §§ 17 ff. KSchG entstehen für den Arbeitgeber schließlich nur dadurch, dass sich die anzeigepflichtig gekündigten Arbeitsverhältnisse, deren Kündigungsfristablauf in die Sperrzeit fällt, bis zum Ende der Sperrfrist "verlängern". Demgegenüber treten solche zusätzlichen Belastungen bei Arbeitsverhältnissen nicht auf, die ohnehin aufgrund verlängerter Kündigungsfristen außerhalb der Sperrfrist enden.
Rz. 893
Umstritten ist, ob in Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, dessen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei vorübergehender Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit auch dann zu beachten ist, wenn die BA den Arbeitgeber zur Kurzarbeit nach § 19 Abs. 1 KSchG ermächtigt hat. Vorsichtige Arbeitgeber sollten von der Mitbestimmungspflichtigkeit ausgehen, denn es erscheint fraglich, ob im Wege der Auslegung des § 19 Abs. 3 KSchG das Entfallen des Mitbestimmungsrechtes für diese Fallkonstellation hergeleitet werden kann (einen derartigen Rückschluss zieht Moll in Ascheid/Preis/Schmidt, § 19 KSchG Rn 23 ff.). Gibt es womöglich bereits eine Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitgeber einen weiteren Handlungsspielraum gewährt als die Ermächtigung der BA, so ist diese Betriebsvereinbarung maßgeblich.