Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1067
Das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot setzt objektiv eine Schwangerschaft voraus. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Der Eintritt der Schwangerschaft während des Laufes der Kündigungsfrist reicht nicht.
Rz. 1068
Eine Schwangerschaft besteht von der Befruchtung bis zu der Entbindung, einer Fehlgeburt oder einem Schwangerschaftsabbruch. Die Rspr. bestimmt in Anlehnung an § 5 Abs. 2 MuSchG den Zeitpunkt des Beginnes der Schwangerschaft durch Rückrechnung von 280 Tagen von dem im ärztlichen Attest angegebenen Zeitpunkt der Niederkunft (BAG v. 27.1.1966 – 2 AZR 141/65, DB 1966, 868; BAG v. 15.11.1990, 2 AZR 270/90, NZA 1991, 669). Für den Beginn des Kündigungsschutzes ist der mutmaßliche Tag der Entbindung im ärztlichen Attest maßgebend. Der voraussichtliche Entbindungstag ist nicht mitzurechnen (BAG v. 12.12.1985 – 2 AZR 82/85, DB 1986, 1579). Im Fall einer Schwangerschaft nach einer In-vitro-Fertilisation greift der besondere Kündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 MuSchG bereits ab dem Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht erst mit erfolgreicher Nidation (BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 237/14).
Die Schwangere genügt deshalb ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Tag der Entbindung, wenn der Zugang der Kündigung innerhalb von 280 Tagen vor diesem Termin liegt. Der Arbeitgeber kann jedoch den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern und Umstände darlegen und beweisen, aufgrund deren es der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis widersprechen würde, von einem Beginn der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin vor dem Kündigungszugang auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen und ist ggf. gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden (BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 417/97, NZA 1998, 1049).
Rz. 1069
Liegt der Zeitpunkt der Entbindung allerdings später als im Attest angegeben, kann der Arbeitgeber nicht geltend machen, nun sei auch die Berechnung entsprechend zu korrigieren. Von dem voraussichtlichen Entbindungstermin ist schon aus Gründen der Rechtsgleichheit auch dann auszugehen, wenn die Arbeitnehmerin noch im Verlaufe des Kündigungsschutzprozesses niederkommt und der tatsächliche Entbindungstag nunmehr feststeht. Abgesehen davon, dass sich auch bei einer Rückrechnung vom tatsächlichen Entbindungstag der tatsächliche Schwangerschaftsbeginn nicht sicher bestimmen lässt, kann es, schon um Manipulationen auszuschließen, nicht von der Laufzeit des Prozesses abhängen, ob eine Arbeitnehmerin in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes kommt oder nicht (BVerwG v. 27.10.1983 – 2 AZR 566/82, DB 1985, 238). Entscheidend sind hier Gesichtspunkte der Rechtssicherheit, denn läge der Beginn der Schwangerschaft, damit aber auch der Beginn des Kündigungsschutzes, nicht fest, könnte die Kündigung über einen längeren Zeitraum nicht rechtlich beurteilt werden.
Rz. 1070
Das Kündigungsverbot des § 17 MuSchG gilt während der Schwangerschaft und einer Frist von vier Monaten nach der Entbindung. Die Frist wird nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3 sowie 191 BGB ermittelt. Unzulässig ist die Kündigung innerhalb dieser Frist. Es ist daher auf den Zugang der Kündigung abzustellen.
Rz. 1071
Eine Entbindung liegt immer dann vor, wenn ein Kind lebend geboren wird. Dies gilt auch für die Frühgeburt. Lebensfähigkeit ist nicht erforderlich (LSG Nds. v. 3.3.1987, NZA 1987, 544). BAG v. Der Schwangerschaftsabbruch ist keine Entbindung (Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigungsschutz, Rn 795).