Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1213
Dem Wahlbewerber für das Amt des Betriebsrates steht der besondere Kündigungsschutz zu, sobald ein Wahlvorstand bestellt ist und für ihn ein Wahlvorschlag vorliegt, der die erforderliche Zahl von Stützunterschriften aufweist. Auf die Einreichung des Wahlvorschlages beim Wahlvorstand kann nicht abgestellt werden (BAG v. 4.3.1976 – 2 AZR 620/74, NJW 1976, 1652). Es genügt bereits, dass ein Wahlvorstand bestellt wurde und für den Kandidaten ein gültiger Wahlvorschlag vorliegt, der die notwendige Anzahl von Stützunterschriften gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG (BAG v. 07.07. 2011 – 2 AZR 377/10, NZA 2012, 107). Die Benennung eines Arbeitnehmers als Betriebsratskandidat in einer Versammlung der gewerkschaftlichen Vertrauensleute des Betriebes und die Aufzeichnung seines Namens auf einen Zettel ohne Unterschriften löst den besonderen Kündigungsschutz nicht aus.
Rz. 1214
Darüber hinaus muss der in Betracht kommende Wahlbewerber überhaupt wählbar sein, denn der besondere Kündigungsschutz ist nur dann gerechtfertigt, wenn die konkrete Möglichkeit der Wahl dieses Kandidaten besteht (BAG v. 26.9.1996 – 2 AZR 528/95, EzA § 15 n.F. KSchG Nr. 45). Nach Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG kann nur ein Wahlvorschlag gemeint sein, der die hinreichend konkrete Möglichkeit enthält, dass der dem Arbeitgeber möglicherweise nicht genehme Kandidat aufgrund dieses Wahlvorschlages auch tatsächlich gewählt wird. Dies ist nicht der Fall, wenn der Wahlbewerber dem Betrieb noch nicht 6 Monate angehört, deshalb nach § 8 BetrVG nicht wählbar ist und damit von vornherein eine ungültige Vorschlagsliste vorliegt, die der Wahlvorstand bei der Durchführung der Betriebsratswahl nicht berücksichtigen darf. Die für die Wählbarkeit nach § 8 Abs. 1 BetrVG erforderliche Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten soll sicherstellen, dass in den Betriebsrat nur Arbeitnehmer gewählt werden, die den für die Ausübung des Betriebsratsamtes erforderlichen Überblick über die betrieblichen Verhältnisse haben. § 8 Abs. 2 BetrVG macht hiervon nur eine Ausnahme für den Fall, dass der Betrieb selbst weniger als sechs Monate besteht.
Rz. 1215
Der besondere Kündigungsschutz für Wahlbewerber entfällt nicht dadurch, dass die Vorschlagsliste durch spätere Streichung von Stützunterschriften gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 WO ungültig wird (BAG v. 5.12.1980 – 7 AZR 781/78, DB 1981, 1142).
Rz. 1216
Eine Arbeitgeberkündigung kann aber schon dann unwirksam sein, wenn sie nur ausgesprochen wird, um einen demnächst zu erwartenden Kündigungsschutz des Arbeitnehmers als Wahlbewerber zu vereiteln. Dieser Unwirksamkeitsgrund liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber zu einer Zeit, als ihm die mögliche Wahlkandidatur des Arbeitnehmers unbekannt war, dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG seine auf andere Gründe gestützte Kündigungsabsicht mitgeteilt und dann aus diesen Gründen gekündigt hat (BAG v. 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, EzA § 15 KSchG Nr. 1).
Rz. 1217
Der besondere Kündigungsschutz für Wahlbewerber endet mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses oder mit der Rücknahme der Kandidatur (BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064). Er endet auch, wenn feststeht, dass der Wahlvorschlag mit Mängeln behaftet ist, die nicht mehr behebbar sind, oder die Frist für die Einreichung des Wahlvorschlages abgelaufen und der Vorschlag nicht eingereicht worden ist. Von diesem Zeitpunkt an kann der Arbeitgeber einem nicht gewählten Wahlbewerber ohne Zustimmung des Betriebsrats außerordentlich kündigen. Jedoch ist der neu gewählte Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören, sofern er sich bereits konstituiert hat.
Rz. 1218
Der besondere Kündigungsschutz für Wahlbewerber ist auch im betriebsratslosen Betrieb anzuwenden. Der Arbeitgeber hat, bevor er eine außerordentliche Kündigung wirksam aussprechen kann, analog § 103 Abs. 2 BetrVG das Zustimmungsverfahren beim ArbG erfolgreich durchzuführen (BAG v. 12.8.1976 – 2 AZR 303/75, DB 1976, 2165).