Rz. 155

Die beschriebenen allgemeinen Grundsätze, die Ausfluss des Ultima-Ratio-Prinzips sind bzw. aus § 1 Abs. 2 S. 2, Nr. 1b und Nr. 2b KSchG folgen, hat der Gesetzgeber in § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) konkretisiert. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war.

 

Rz. 156

Das in § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) nur rahmenmäßig geregelte betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 31; BAG v. 20. 11.2014 – 2 AZR 755/13, Rn 30, BAGE 150, 117). Der Suchprozess ist, auch wenn er einem "üblichen" Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleichsteht, kein außerdienstlicher Vorgang (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 32). Es handelt sich um ein Instrument der betrieblichen Prävention (BGBl I, 1394; BT-Drucks 14/3372, 16). Seine Realisierung gehört zu den gesetzlichen Pflichten des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, die das Arbeitsverhältnis gestalten (BAG v. 29.7.2016 – 2 AZR 47/16, Rn 32; BAG v. 7.2.2012 – 1 ABR 46/10, Rn 38, BAGE 140, 350).

aa) Allgemeine Prinzipien

 

Rz. 157

Gem. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) klärt der Arbeitgeber mit dem Betriebs- oder Personalrat bzw. einer sonstigen zuständigen Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich wird gem. § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 2 SGB IX) der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Der Betriebs- oder Personalrat (bzw. eine andere zuständige Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX; vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX), bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können gem. § 167 Abs. 2 S. 6 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 6 SGB IX) auch initiativ die Klärung verlangen.

 

Rz. 158

Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) setzt nach dem Zweck der Vorschrift allerdings nicht voraus, dass im Betrieb ein Betriebsrat besteht. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung i.S.v. § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) gebildet ist (BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn 38; BAG v. 27.7.2011 – 7 AZR 402/10, Rn 62; BAG v. 30.9.2010 – 2 AZR 88/09, Rn 28, BAGE 135, 361). Nur wenn ein Betriebsrat oder eine andere in § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) genannte Interessenvertretung besteht, muss der Arbeitgeber diesen (oder diese) beteiligen.

 

Rz. 159

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist zudem nicht nur bei behinderten Arbeitnehmern, sondern bei allen Arbeitnehmern, bei denen die sonstigen Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) vorliegen, durchzuführen (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3). Dies ergibt sich aus einem Vergleich des Wortlautes des § 167 Abs. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 1 SGB IX) mit demjenigen des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Nach § 167 Abs. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 1 SGB IX) ist bei den dort vorgesehenen Maßnahmen die für Schwerbehinderte und Gleichgestellte zuständige Schwerbehindertenvertretung einzuschalten. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) sieht demgegenüber vor, dass die Schwerbehindertenvertretung neben den in § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) genannten Vertretungen bei schwerbehinderten Beschäftigten außerdem zu beteiligen ist. Die Norm muss daher auch für andere, nicht schwerbehinderte Beschäftigte gelten. Ferner folgt auch aus der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 746/03, 33 f.), dass es dem Gesetzgeber um eine allgemeine, nicht auf Schwerbehinderte beschränkte Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz ging.

 

Rz. 160

Der Gesetzgeber hat mit der Verwendung des Begriffs "arbeitsunfähig" in § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) auf die zu § 3 Abs. 1 EFZG ergangene Begriffsbestimmung Bezug genommen und wollte keinen vom Entgeltfortzahlungsgesetz abweichenden eigenen Begriff mit anderen Merkmalen schaffen (BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn 41 zu § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.F.; BAG v. 13.3.2012 – 1 ABR 78/10, Rn 14, BAGE 141, 42). Die Definition des Entgeltfortzahlungsgesetzes entspricht grundsätzlich derjeni...

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