Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1072
Das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG greift nur ein, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft oder der Entbindung hat. Der Kündigungsschutz besteht nicht schon dann, wenn der Arbeitgeber die Schwangerschaft oder die Entbindung kennen müsste. Selbst grob fahrlässige Unkenntnis steht einer positiven Kenntnis nicht gleich (MünchArbR/Heenen, § 219 Rn 95).
Rz. 1073
Vermutungen des Arbeitgebers oder Gerüchte im Betrieb reichen ebenfalls nicht. Stellt man auf die Kenntnis des Arbeitgebers ab, ist er auch nicht verpflichtet, von sich aus Erkundigungen anzustellen, ob eine Arbeitnehmerin schwanger ist.
Rz. 1074
Wie der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt, ist gleichgültig. Kommt die Arbeitnehmerin ihrer Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 MuSchG nach und zeigt ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber an, wird er auf diesem Wege im Regelfall sichere Kenntnis erlangen. Der Arbeitgeber hat darüber hinaus die Pflicht, sich fremde Ausdrücke, die er bei der Vorlage eines Attestes nicht versteht, übersetzen zu lassen (BAG v. 13.4.1956 – 1 AZR 390/55, NJW 1956, 1124).
Rz. 1075
Der Arbeitgeber kann auch Kenntnis von der Schwangerschaft durch einen Dritten erlangen. Wenn die Schwangere einem Vorgesetzten Mitteilung macht, dieser es dann dem Arbeitgeber oder der zuständigen Personalabteilung mitteilt, erlangt der Arbeitgeber Kenntnis i.S.d. § 17 Abs. 1 MuSchG. Ist aber der Vorgesetzte nicht mit Personalangelegenheiten im Betrieb befasst, so ersetzt dessen Kenntnis nicht die des Arbeitgebers, wenn die Mitteilung der Schwangerschaft nicht weitergeleitet wird. Der Sonderkündigungsschutz greift auch dann, wenn der Arbeitgeber über die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin durch eine weitere Arbeitnehmerin, auch wenn dieser keine personalrechtlichen Befugnisse zustehen, unmittelbar nach Zugang der Kündigung informiert wird (LAG Sachsen-Anhalt v. 9.12.2014 – 6 Sa 539/13).
Kenntnis des Werksarztes reicht für sich genommen nicht aus. Erst wenn der Werksarzt die Schwangerschaft an die zuständige Personalstelle weitermeldet, entsteht die erforderliche Kenntnis des Arbeitgebers. Auch die Mitteilung an den Betriebsrat begründet für sich gesehen keine Kenntnis des Arbeitgebers.
Rz. 1076
Die positive Kenntnis eines Vertreters des Arbeitgebers ist ausreichend, wenn diese Person für die Erledigung von Personalangelegenheiten die erforderlichen Vollmachten besitzt. Ausreichend ist deshalb die Mitteilung der Schwangerschaft oder der Entbindung an die Personalabteilung, die für die Abwicklung der Personalangelegenheiten im Betrieb zuständig ist (BAG v. 18.12.1965, AP Nr. 26 zu § 9 MuSchG). Bei Vorgesetzten ist der Umfang der Vollmacht entscheidend. Wer generell Kündigungsvollmacht hat, ist ebenfalls legitimiert die Mitteilungen der Schwangeren entgegenzunehmen. Auch andere Vollmachten, die den Personalbereich betreffen, sind ausreichend.
Rz. 1077
Beweispflichtig für die Kenntnis des Arbeitgebers, eines Vertreters oder Beauftragten des Arbeitgebers von der Schwangerschaft oder der Entbindung ist die Arbeitnehmerin, will sie sich auf den mutterschutzrechtlichen Sonderkündigungsschutz berufen. Die tatsächliche, positive Kenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich bei Ausspruch der Kündigung, muss bewiesen werden.