Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1078
Ist dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft der zu Kündigenden nicht bekannt, kann sich die Arbeitnehmerin den besonderen Kündigungsschutz erhalten, indem sie die Schwangerschaft oder die Entbindung innerhalb einer Zwei-Wochen-Frist dem Arbeitgeber mitteilt (§ 17 Abs. 1 MuSchG). Die Frist beginnt mit dem Zugang der Kündigung und ist nach den §§ 187, 188 BGB zu berechnen.
Rz. 1079
Zu unterscheiden ist aber zwischen der Mitteilung und dem Nachweis der Schwangerschaft. Die Mitteilung hat innerhalb der Zwei-Wochen-Frist zu erfolgen, der Nachweis kann nach Ablauf der Frist noch geschehen. Die Kosten für den Nachweis hat der Arbeitgeber zu tragen. Diese Unterscheidung ist auch deshalb wichtig, weil die Rspr. auf dem Standpunkt steht, dass der Nachweis der Schwangerschaft überhaupt keine Voraussetzung des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes sei (BAG v. 6.6.1974 – 2 AZR 278/73, DB 1974, 2355). Eine etwaige Verletzung der Nachweispflicht hat keine negativen Folgen für die Arbeitnehmerin im Hinblick auf ihren besonderen Kündigungsschutz (vgl. auch MünchArbR/Heenen, § 219 Rn 101). Eine Verletzung der Nachweispflicht kann allenfalls dazu führen, dass die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz sich als unzulässige Rechtsausübung erweist. Sie kann bei einer Nichtbeschäftigung der Arbeitnehmerin aber auch Ansprüche auf Annahmeverzug für die Arbeitnehmerin ausschließen.
Rz. 1080
Das Überschreiten der Zwei-Wochen-Frist ist nach § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG unter folgenden Voraussetzungen unerheblich:
Die Fristversäumung ist von der Arbeitnehmerin nicht zu vertreten und die Mitteilung wird unverzüglich nachgeholt.
Rz. 1081
Die nachträgliche Mitteilung ist für die Arbeitnehmerin eine Obliegenheit im Rechtssinne. Eine schuldhafte Versäumung der Zwei-Wochen-Frist nimmt die Rspr. im vorliegenden Zusammenhang nur bei groben Verstößen gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartenden Verhalten an (BAG v. 6.10.1983 – 2 AZR 368/82, DB 1984, 1044; BAG v. 27.10.1983 – 2 AZR 214/82, EzA § 9 MuSchG Nr. 24; BAG v. 20.5.1988, DB 1988, 2107; MünchArb/Heenen, § 219 Rn 97). Das ist der Fall, wenn die Arbeitnehmerin die Schwangerschaft kannte oder deutliche Anhaltspunkte, die eine Schwangerschaft unabweisbar erscheinen lassen, ignoriert (BAG v. 27.10.1983 – 2 AZR 214/83, EzA § 9 MuSchG Nr. 24). Dann darf die Arbeitnehmerin im Hinblick auf die Erhaltung des Sonderkündigungsschutzes nicht mehr untätig bleiben, sondern muss sich Gewissheit verschaffen. Die Annahme einer unverzüglichen Mitteilung richtet sich nach § 121 BGB bei Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles (BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 739/87, DB 1988, 2107). Die Frage, wann ein von der Arbeitnehmerin zu "vertretender Grund" vorliegt, musste das BAG mehrfach entscheiden (BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, EzA § 9 MuSchG Nr. 38, BAG v. 16.5.2002 – 2 AZR 730/00, NZA 2003, 217). Eine Überschreitung hat die Arbeitnehmerin zu vertreten, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist ("Verschulden gegen sich selbst"). Sie versäumt die Frist zum einen unverschuldet, wenn sie während dieser Frist keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat. Die Fristversäumnis ist zum anderen auch dann unverschuldet, wenn sie beim Zugang der Kündigung zwar ihre Schwangerschaft kennt oder während des Laufs der Zwei-Wochen-Frist von ihr erfährt, aber durch sonstige Umstände an einer rechtzeitigen Mitteilung unverschuldet gehindert wird. Ein grober Verstoß ist noch nicht anzunehmen, wenn die Arbeitnehmerin die Bescheinigung über ihre Schwangerschaft mit normaler Post an den Arbeitgeber versandt hat und der Brief aus ungeklärter Ursache verloren gegangen ist (BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 392/01, EzA § 9 MuSchG Nr. 38).
Rz. 1082
Geht einer schwangeren Arbeitnehmerin während ihres Urlaubs eine Kündigung zu und teilt sie dem Arbeitgeber unverzüglich nach Rückkehr aus dem Urlaub ihre Schwangerschaft mit, ist die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist des § 17 Abs. 1 MuSchG zur Mitteilung der Schwangerschaft nach Ausspruch der Kündigung nicht allein deshalb als verschuldet anzusehen, weil es die Arbeitnehmerin unterlassen hat, dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft vor Urlaubsantritt anzuzeigen. Auch die Vorschrift des § 5 Abs. 1 MuSchG, wonach werdende Mütter dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft mitteilen sollen, sobald ihnen ihr Zustand bekannt ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Diese Vorschrift enthält nämlich keine gesetzlich verbindliche Pflicht der Arbeitnehmerin zur Offenbarung ihres Zustandes (BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 736/95, EzA § 9 MuSchG Nr. 34).
Rz. 1083
Die Arbeitnehmerin kann sich bei der Mitteilung vertreten lassen. Die Zurechnungsvorschriften für das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, § 85 Abs. 2 ZPO und § 278 BGB, sind auf diese Mitteilung nicht anwendbar, zum einen weil die Mitteilung keine Prozesshandlung is...