Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1102
§ 17 Abs. 3 MuSchG ermöglicht eine Ausnahme vom Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG. Die Kündigung einer Schwangeren ist möglich, wenn die zuständige Behörde vor Ausspruch diese Kündigung für zulässig erklärt hat (BAG v. 29.7.1968 – 2 AZR 363/67, DB 1968, 1632). Bei Fehlen einer solchen vorherigen Zulässigkeitserklärung ist die Kündigung unheilbar nichtig, § 134 BGB.
Rz. 1103
Darüber hinaus ist die Kündigung nach erfolgter Zulässigkeitserklärung in schriftlicher Form auszusprechen und muss den zulässigen Kündigungsgrund angeben, § 17 Abs. 3 S. 2 MuSchG. Diese Bestimmung ist ein zwingendes konstitutives Schriftformerfordernis. Unklar bleibt allerdings auf der Grundlage des Wortlautes der Bestimmung, ob die Angabe des Kündigungsgrundes ebenfalls konstitutiven oder bloß deklaratorischen Charakter haben soll.
Rz. 1104
Dieser Kündigungsschutz wird flankiert vom Kündigungsschutz während der Elternzeit. Die Kündigungsverbote nach § 17 Abs. 1 MuSchG und § 18 BEEG bestehen nebeneinander. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber bei Vorliegen von Schwangerschaft und Elternzeit für eine Kündigung beide Verfahren im Hinblick auf die Zulässigkeitserklärung der Kündigung einhalten muss. Anderenfalls ist sie unheilbar nichtig (BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 595/92, NZA 1993, 646).
Rz. 1105
Der Arbeitgeber darf der Schwangeren schon dann kündigen, sobald die für die Kündigung zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilt hat oder diese als erteilt gilt, ohne dass die Bestandskraft dieses Verwaltungsaktes abgewartet werden müsste. Ein Widerspruch der Schwangeren lässt die erklärte Kündigung als schwebend unwirksam erscheinen. Einer sofortigen Vollziehung dieser Zulässigkeitserklärung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bedarf es nicht. Dies ergibt sich insb. aus einem Vergleich mit § 88 Abs. 4 SGB IX (LAG Rheinland-Pfalz v. 14.2.1996 – 2 Sa 1081/95, DB 1996, 1291).
Rz. 1106
Bei einer außerordentlichen Kündigung, die im Regelfall nur innerhalb der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt werden darf, muss der Arbeitgeber bei einer Schwangeren innerhalb dieser Frist den Antrag auf Zulässigkeitserklärung bei der zuständigen Behörde stellen. Wird dem Antrag stattgegeben, ist der Arbeitgeber verpflichtet, unverzüglich (§ 121 BGB) nach Erhalt des Bescheides die Kündigung auszusprechen (LAG Hamm v. 3.10.1986 – 17 Sa 935/86, DB 1987, 544).
Rz. 1107
Die Zulässigkeitserklärung kann nach dem Gesetzeswortlaut nur in "besonderen Fällen", die nicht mit dem Zustand einer Frau während einer Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, "ausnahmsweise" erfolgen. Es handelt sich dabei um auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe. Die zuständige Behörde trifft keine Ermessensentscheidung. Die Entscheidung der Behörde unterliegt insoweit der Rechtskontrolle der VG (BVerwG v. 18.8.1977 – VC 8.77, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; Münch-ArbR/Heenen, § 219 Rn 112). Gleichzeitig hat der Gesetzgeber durch das Wort "kann" zum Ausdruck gebracht, dass bei Vorliegen der unbestimmten Rechtsbegriffe "ausnahmsweise" und "in besonderen Fällen" die Entscheidung im Ermessen der Behörde liegt. Auf diese Weise wird die Entscheidung über einen unbestimmten Rechtsbegriff mit einer Ermessensentscheidung verbunden.
Rz. 1108
Aus dem Wortlaut der Bestimmung folgt, dass der "besondere Fall" nicht mit dem "wichtigen Grund" im § 626 Abs. 1 BGB gleichgesetzt werden kann. Außergewöhnliche Umstände beim Vollzug des Arbeitsverhältnisses müssen die vorrangigen Lösungsinteressen des Arbeitgebers begründen. Die Zulässigkeitserklärung muss aufgrund der verfassungsrechtlichen Legitimation des mutterschutzrechtlichen Kündigungsverbots durch Art. 6 Abs. 4 GG auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Schwangeren darf im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt werden. Voraussetzung ist, dass die Schwangerschaft nichts mit der Kündigung zu tun hat. Zu beachten sind aber folgende Kriterien: Schriftform der Kündigung/Angabe des Kündigungsgrundes (§ 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG) und bei einer Massenentlassung Angabe der sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer (EuGH v. 22.2.2018 – C-103/16).
Rz. 1109
Dies kann etwa bei Straftaten oder beharrlichen, wiederholten Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten der Fall sein. Bei einmaligen schwerwiegenden Verstößen kommt es maßgeblich darauf an, ob eine Wiederholungsgefahr besteht oder aufgrund besonderer Umstände die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Auflösung nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist für den Arbeitgeber auch bei Berücksichtigung der Folgen für die werdende Mutter ein unzumutbares Opfer darstellen würde (hierzu VGH Baden-Württemberg v. 7.12.1993 – 10 S 2825/92, BB 1994, 940; vgl. auch BVerwG v. 18.8.1977 – VC 8.77, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968).
Die Unwirksamkeit der Kündigung wegen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot nach § 17 MuSchG muss die schwangere Arbeitnehmerin und Mutter grds. innerhalb der dreiwöchigen Klagefris...