Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Abgeordnete
a) Allgemeiner Regelungsgehalt des besonderen Kündigungsschutzes für Abgeordnete und Wahlbewerber
Rz. 916
Das allgemeine aktive und passive Wahlrecht, die Unabhängigkeit des gewählten Abgeordneten ist für eine freiheitliche parlamentarische Demokratie unerlässlich. Der freie Zugang zum Amt sowie die ungehinderte Ausübung ist deshalb von Verfassung wegen geschützt. Das daraus folgende Behinderungsverbot muss auch in den privatrechtlichen Beziehungen der Bürger untereinander durchgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund sind die einschlägigen Normen des GG, der Länderverfassungen und sonstigen einfachgesetzlichen Regelungen auszulegen.
b) Grundgesetzlicher Kündigungsschutz
Rz. 917
Gem. Art. 48 Abs. 2 GG darf niemand daran gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig. Dieser Kündigungsschutz schützt den Arbeitnehmer nicht absolut vor jeder Kündigung, sondern nur vor solchen Kündigungen, die ihren Grund im Ehrenamt haben (BAG v. 30.6.1994 – 8 AZR 94/93, EzA Art. 48 GG Nr. 1).
Rz. 918
Die nähere Regelung der Rechtsstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages enthält das Abgeordnetengesetz (AbgG). Nach § 2 Abs. 2 und 3 S. 1 AbgG sind sowohl Benachteiligungen am Arbeitsplatz als auch die ordentliche Kündigung unzulässig. Eine Kündigung ist allerdings aus wichtigem Grund zulässig.
Rz. 919
Der besondere Kündigungsschutz gilt nur für Abgeordnete des Bundestages sowie für die Wahlbewerber für dieses Gremium.
Rz. 920
Der Ersatzkandidat, der für den Fall des Todes oder des Verlustes der Wählbarkeit des eigentlichen Kandidaten aufgestellt worden ist, genießt den besonderen Kündigungsschutz erst ab dem Zeitpunkt, in dem er die Kandidatur tatsächlich antritt.
Rz. 921
Der besondere Kündigungsschutz des GG und des AbgG schützt Arbeitnehmer der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes. Da § 2 AbgG den Kündigungsschutz nach seinem Wortlaut nicht auf Arbeitsverhältnisse beschränkt, erstreckt er sich auch auf arbeitnehmerähnliche Personen wie Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende, arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter sowie sonstige Mitarbeiter nach § 12a TVG.
c) Zeitlicher Geltungsbereich
Rz. 922
Der Kündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Bewerbers durch das dafür zuständige Organ der Partei oder mit der Einreichung des Wahlvorschlages. Wird dagegen ein Wahlbewerber zum Bundestag nicht gewählt, so endet der besondere Kündigungsschutz. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt ein Jahr nach der Beendigung des Mandates fort.
d) Kündigungsverbot
Rz. 923
Nach Art. 48 Abs. 2 GG und § 2 Abs. 3 AbgG ist eine Kündigung oder Entlassung wegen der Annahme oder Ausübung des Mandates unzulässig. Das Gesetz unterscheidet damit zwischen der rechtsgestaltenden, einseitigen Willenserklärung, d.h. Kündigung des Arbeitgebers, und der tatsächlichen Beendigung der Beschäftigung, der Entlassung.
Rz. 924
Die Kündigung ist dann wegen der Annahme oder der Ausübung des Mandates ausgesprochen, wenn dies auf einer inneren Einstellung, Motivation des Kündigenden beruht. Diese innere Tatsache kann aus objektiven Umständen, wie einem zeitlichen Zusammenhang und fehlenden anderen Gründen geschlossen werden. Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für den fehlenden Zusammenhang zwischen Kandidatur oder Mandatsausübung und der ausgesprochenen Kündigung. Ausgeschlossen sind dann sowohl eine außerordentliche wie eine ordentliche Kündigung.
Rz. 925
Des Weiteren ist unabhängig von ihrer Begründung eine ordentliche Kündigung so lange ausgeschlossen, wie der besondere Kündigungsschutz besteht. Da auch insoweit der allgemeine Grundsatz gilt, dass Arbeitsverhältnisse, deren Fortsetzung für eine Seite nicht mehr zumutbar ist, außerordentlich aus wichtigem Grund kündbar sein müssen, ordnet auch § 2 Abs. 3 S. 2 AbgG an, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich bleibt.
Rz. 926
Die Nichtigkeit der grundgesetzwidrigen und gegen § 2 AbgG verstoßenden Kündigungen kann der Arbeitnehmer auch jenseits der Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend machen. Will er sich allerdings den Prüfungsmaßstab der Sozialwidrigkeit nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG erhalten, muss er die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG einhalten.
e) Landesrechtlicher Kündigungsschutz
Rz. 927
Der Kündigungsschutz ist für Landtagsabgeordnete und Wahlbewerber für den Landtag in den einzelnen Bundesländern in den dortigen AbgG näher geregelt. Er entspricht in der grundsätzlichen Ausgestaltung dem Kündigungsschutz für Bundestagsabgeordnete: Die Kündigung oder die Entlassung wegen der Annahme oder der Ausübung des Mandates ist unzulässig; ansonsten bleibt die Kündigung, die mit der Bewerbung oder der Mandatsausübung nicht in einem Zusammenhang steht, nur aus wichtigem Grund möglich.
Rz. 928
In Hessen und Bremen gibt es darüber hinaus für nicht gewählte Bewerber einen nachwirkenden Kündigungsschutz.
Rz. 929
Die Grundsätze der jeweiligen Landesabgeordnetengesetze sind für Mitglieder und Bewerber von Kommunalparlamenten entsprechend anwendbar, da es hier um den aus Art. 28 Abs. 2 GG fließenden Mandatsschutz geht. Im Einzelnen sind folgende Regelungen vorhanden:
▪ |
Baden-Württemberg: § 32 GO und § 26 Landkreisordnung; |
▪ |
Berlin: § 10 Bez... |