Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Entstehungsgeschichte
Rz. 63
Die Vorschrift des § 23 KSchG ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geändert bzw. ergänzt worden. Durch das frühere arbeitsrechtliche BeschFG v. 25.9.1996 (BGBl I, 1476) wurden die Sätze 2 bis 4 geändert, insb. wurde der Schwellenwert von fünf auf zehn Arbeitnehmer angehoben und geregelt, dass bei der Berechnung des Schwellenwertes Teilzeitkräfte in Abhängigkeit von deren Arbeitszeit berücksichtigt wurden.
Rz. 64
Art. 6 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte v. 19.12.1998 (BGBl I, 3843) führte mit Wirkung zum 1.1.1999 den Schwellenwert von zehn wieder auf fünf Arbeitnehmer zurück. Teilzeitbeschäftigte wurden von nun an bei der Ermittlung des Schwellenwertes nach einem modifizierten Modus gezählt. Danach wurden Teilzeitarbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden in der Woche mit 0,5 und mit einer Arbeitszeit von nicht mehr als 30 Stunden in der Woche mit 0,75 berücksichtigt. Die Gruppe der nur mit 0,25 zu zählenden Teilzeitarbeitnehmer entfiel aufgrund einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 14/151, 19).
Rz. 65
Das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I, 3002, 3003) führte zu einer erneuten Korrektur des § 23 KSchG, die weitgehend den Rechtszustand von 1996 wiederherstellte. Insb. wurde durch den neuen S. 3 des Abs. 1 der Schwellenwert von fünf wieder auf zehn Arbeitnehmer angehoben, soweit es sich um Neueinstellungen ab dem 1.1.2004 handelt. Ferner wurde § 23 Abs. 1 KSchG dahin gehend modifiziert, dass die Klagefrist von drei Wochen unabhängig vom betrieblichen Geltungsbereich des KSchG gilt (im Einzelnen zum Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vgl. Bader, NZA 2003, 249; Bauer, NZA 2003, 366; Bender/Schmidt, NZA 2004, 358; Däubler, AiB 2004, 7; Löwisch, NZA 2003, 693; ders., BB 2004, 161; U. Preis, DB 2004, 78; Richardi, DB 2004, 486; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 184).
2. Zweigeteilter Kündigungsschutz
Rz. 66
Seit Inkrafttreten der Änderungen, die durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt eingefügt worden sind, ist der allgemeine Kündigungsschutz zweigeteilt.
Rz. 67
Die Vorschriften des ersten Abschnittes des KSchG (Allgemeiner Kündigungsschutz) gelten gem. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG mit Ausnahme der §§ 4–7 und des § 13 Abs. 1 S. 1 und 2 KSchG nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen i.d.R. fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen i.d.R. zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des ersten Abschnittes mit Ausnahme der §§ 4–7 und des § 13 Abs. 1 S. 1 und 2 KSchG gem. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat. Diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bis zur Beschäftigung von i.d.R. zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen.
a) Schwellenwert bei Arbeitnehmern, die am 31.12.2003 beschäftigt waren
Rz. 68
Der Schwellenwert für Arbeitnehmer, die bereits am 31.12.2003 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt waren, ist unverändert, d.h. es müssen mehr als fünf Arbeitnehmer dem Betrieb angehören. Diese Regelung gilt dauerhaft und ist nicht nur auf einen Übergangszeitraum beschränkt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die ab dem 1.1.2004 erfolgten Neueinstellungen bei der Feststellung der Schwellenzahl i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG so lange nicht berücksichtigt werden dürfen, bis eine Anzahl von zehn Arbeitnehmern erreicht ist. Es ist jedoch für die Anwendung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG unerheblich, ob ein Arbeitnehmer am 31.12.2003 seine Wartezeit vollendet hatte (Bader, NZA 2004, 65, 67; Löwisch, BB 2004, 154, 161). Für Arbeitnehmer, die bereits am 31.12.2003 beschäftigt waren, ergeben sich infolgedessen folgende Konsequenzen:
Rz. 69
Im Betrieb waren am 31.12.2003 fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt:
Nach der Regelung des § 23 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 KSchG können diese Arbeitnehmer erst dann den allgemeinen Kündigungsschutz beanspruchen, wenn infolge von Neueinstellungen, die nach dem 31.12.2003 erfolgt sind, der Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern überschritten wird.
Rz. 70
Im Betrieb waren am 31.12.2003 mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt:
Die Arbeitnehmer genießen den allgemeinen Kündigungsschutz unabhängig von Neueinstellungen, solange mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden, die bereits am 31.12.2003 beschäftigt gewesen sind, einschließlich ruhender Arbeitsverhältnisse.
Der abgesenkte Schwellenwert des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG kann allerdings auch dann maßgeblich sein, wenn es nach dem 31.12.2003 zwar rechtliche Unterbrechungen des zuvor begründeten Arbeitsverhältnisses gegeben hat, der Arbeitnehmer aber – zusammen mit einer ausreichenden Anzahl anderer "Alt-Arbeitnehmer" – ununterbrochen in den Betrieb eingegliedert war (BAG v. 23.5.2013 – 2 AZR 54/...