Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Beteiligung des Betriebsrats – Konsultationsverfahren
a) Unterrichtung des Betriebsrats
Rz. 866
Sollen in einem Betrieb, in dem ein Betriebsrat besteht, anzeigepflichtige Massenentlassungen vorgenommen werden, ist der Betriebsrat nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 bis 3a KSchG an dem Anzeigeverfahren zu beteiligen. Die genaue Einhaltung dieser Vorschriften ist zwingend zu beachten. Anderenfalls ist eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung – unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG – wegen § 134 BGB rechtsunwirksam. Die Durchführung des Konsultationsverfahrens ist ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die Kündigung (vgl. BAG v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966). § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG verlangt von dem Arbeitgeber, dass er bei beabsichtigten anzeigepflichtigen Entlassungen dem Betriebsrat rechtzeitig, d.h. im Hinblick auf § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige bei der Agentur für Arbeit,
▪ |
die zweckdienlichen Auskünfte erteilt und |
▪ |
ihn schriftlich insb. unterrichtet über:
1. |
die Gründe für die geplanten Entlassungen, |
2. |
die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, |
3. |
die Zahl und die Berufsgruppen der i.d.R. beschäftigten Arbeitnehmer, |
4. |
den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, |
5. |
die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, |
6. |
die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. |
|
Die Unterrichtung muss nicht den Anforderungen des § 126 BGB genügen. Die Wahrung der Textform entsprechend § 126b BGB reicht aus (BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175).
Rz. 867
Gleichzeitig – dies fordert § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG – hat der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten. Dies ist jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung (ErfK/Kiel, KSchG, 21. Aufl. 2021, § 17 Rn 36). Angaben zu etwaigen Abfindungen, also zu Nr. 6 des Informationskataloges des Abs. 2, braucht die der Agentur für Arbeit zuzuleitende Abschrift allerdings nicht zu enthalten.
Für die Erstattung der Anzeige zuständig ist die Agentur, in deren Bezirk der Betrieb liegt; auf den Sitz des Unternehmens kommt es nicht an (KR/Weigand, § 17 KSchG Rn 122; Niklas/Koehler, NZA 2010, 917). Sind mehrere Betriebe von den Entlassungen betroffen und werden die Schwellenwerte in den betroffenen Betrieben überschritten, sind bei den örtlich zuständigen Agenturen jeweils eigene Anzeigen zu erstatten. Enthält eine bei unterschiedlichen Agenturen für Arbeit eingereichte Massenentlassungsanzeige vollständige und zutreffende Angaben zu den für die örtliche Zuständigkeit möglicherweise relevanten Umständen und weist der Arbeitgeber auf die mehrfache Einreichung hin, gilt die Massenentlassungsanzeige als ordnungsgemäß erstattet. Es ist dann Sache der angegangenen Behörden, sich über die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach §§ 18, 20 KSchG abzustimmen (BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175).
Rz. 868
Der Zeitpunkt der Unterrichtung wird – ebenso wie der Zeitpunkt der Unterrichtung im Interessenausgleichsverfahren – im Gesetz nur vage mit "rechtzeitig" angegeben. Auch die Massenentlassungsrichtlinie enthält keine Konkretisierung des Zeitpunkts der Unterrichtung. Art. 2 Abs. 1 MERL verlangt ebenfalls lediglich eine "rechtzeitige" Konsultation. Das LAG Düsseldorf (12.9.2019 – 11 Sa 986/18, juris) hat insofern angenommen, dass für die Rechtzeitigkeit allein maßgeblich ist, dass der Arbeitgeber nicht durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft. Gleichwohl ist für eine rechtzeitige Unterrichtung generell zu empfehlen, auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem ein grundsätzlich umsetzungsfähiges Konzept, vorbehaltlich der Verhandlungen mit dem Betriebsrat, vorliegt (Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071 f.).
b) Beratung mit dem Betriebsrat
Rz. 869
Im Anschluss an die Unterrichtung des Betriebsrats hat der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern, § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG. Die Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG entspricht der Konsultationspflicht nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MERL. Während § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG lediglich allgemein die Beratung auf die Möglichkeiten zur Milderung der Folgen der Massenentlassungen erstreckt, präzisiert Art. 2 Abs. 2 MERL die Konsultationspflicht dahingehend, dass soziale Begleitmaßnahmen zu erörtern sind. Insbesondere sollen Maßnahmen erörtert werden, die Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben. Bereits aus der Zweiteilung von Unterrichtung und Beratung folgt, dass die Beratung mit dem Betriebsrat mehr als Auskunftserteilung und Unterrichtung erfordert (Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 17 KSchG Rn 74; Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846). Die Beratung mit dem Betriebsrat setzt daher eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Betriebsrats zur Vermeidung oder Beschränkung d...