Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Bestehen von Kündigungsschutz
Rz. 1246
Folgt man der Auffassung des BAG v. ergibt sich der Wiedereinstellungsanspruch aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen. Die Herleitung des Wiedereinstellungsanspruches aus einer vertraglichen, den Vorgaben des KSchG und der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung tragenden Nebenpflicht bestimmt Inhalt und Grenzen des Anspruches (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097). Die Verknüpfung zwischen vertraglicher Rücksichtnahmepflicht und gesetzlich geregeltem Bestandsschutz bedingt aber gleichzeitig, dass der Wiedereinstellungsanspruch das Bestehen von Kündigungsschutz voraussetzt. Er ist daher ausgeschlossen in der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) sowie im Kleinbetrieb nach § 23 Abs. 1 KSchG. Hier kann sich nur ausnahmsweise aus § 242 BGB eine andere Bewertung ergeben (BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, ArbuR 2017, 516; dazu Fuhlrott, NZA-RR 2018, 242; Löwisch, BB 2018, 1337; vom Stein, NZA 2018, 766; ders., FS Willemsen, 2018, S. 575, 583 f.). Ebensowenig kommt ein Wiedereinstellungsanspruch bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers in Betracht (LAG Rheinland-Pfalz v. 7.11.2017 – 8 Sa 288/17, AA 2018, 54).
Danach müssen für den Wiedereinstellungsanspruch zunächst die folgenden tatbestandlichen Grundvoraussetzungen erfüllt sein:
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Grds. Bestehen von Kündigungsschutz, |
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Wirksamkeit der Kündigung, |
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nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrundes, |
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unverzügliche Geltendmachung des Anspruches durch den Arbeitnehmer, |
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keine schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers an der Zurückweisung des Wiedereinstellungsanspruchs. |
2. Wirksamkeit der Kündigung
Rz. 1247
Der Anspruch entsteht mit dem Wegfall des Kündigungsgrundes. Gleichzeitig muss die vorher ausgesprochene Kündigung wirksam sein, weil der gekündigte Arbeitnehmer anderenfalls das nicht wirksam beendete Arbeitsverhältnis fortsetzen könnte (vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575, 577). Deshalb darf die ausgesprochene Kündigung auch nicht aus anderen Gründen, bspw. wegen fehlender oder fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG oder wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam sein.
3. Nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrunds
Rz. 1248
Der die Entlassung des Arbeitnehmers rechtfertigende Grund ist bei der betriebsbedingten Kündigung weggefallen, wenn sich die zugrunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten des gekündigten Arbeitnehmers nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dies kann der Fall sein, wenn sich die Prognose des Arbeitgebers über die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit spätestens bei Ablauf der Kündigungsfrist infolge nachträglich eintretender Umstände als falsch erweist, weil bspw. entgegen ursprünglicher Planung die Betriebsabteilung nicht geschlossen oder der Betrieb doch nicht stillgelegt, sondern fortgeführt wird. Bei der krankheitsbedingten Kündigung muss die nunmehrige positive Prognose die entsprechende Einschätzung bei Ausspruch der Kündigung als unrichtig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung lässt sich kurz mit der "Unrichtigkeit der Prognose aufgrund nachträglich veränderter Umstände" umschreiben.
Rz. 1249
Damit stellt sich die Frage, ob ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann besteht, wenn die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht aus einer prognostizierten Entwicklung folgt, sondern bereits eingetreten ist. Des Weiteren wird diskutiert, ob der Arbeitnehmer auch dann wieder einzustellen ist, wenn nachträglich die Möglichkeit entsteht, den gekündigten Arbeitnehmer auf einem anderen frei gewordenen Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Das BAG schränkt den Wiedereinstellungsanspruch nicht auf solche Fälle ein, in denen wider Erwarten der bisherige Arbeitsplatz des Arbeitnehmers doch erhalten bleibt, sondern bejaht einen Wiedereinstellungsanspruch auch dann, wenn sich eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit auf einem unvorhergesehenen frei werdenden oder neu geschaffenen Arbeitsplatz ergibt, auf den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne Änderung des Arbeitsvertrags einseitig umsetzen könnte (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097). Dies begründet das BAG mit der von ihm entwickelten Rspr., wonach eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung entgegensteht, wenn sie bei Ausspruch der Kündigung bereits vorhanden oder absehbar war. Dem wird mit Recht entgegengehalten, dass der nachträglich veränderte Kündigungssachverhalt nicht automatisch zu einem Wiedereinstellungsanspruch führt, weil die Kündigung unter Zugrundelegung der veränderten Umstände sozialwidrig wäre (Raab, RdA 2000, 147, 154). Ein uneingeschränkter Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Freiwerden eines anderen Arbeitsplatzes ist mit dem Vertrauensschutz des Arbeitgebers an der Wirksamkeit der einmal ausgesprochenen Kündigung schwer vereinbar. Dieses Problem kann aber im Rahmen der weiter unten zu behandelnden Zumutbarkeit einer praxisgerechten Lösung zugeführt werden.
4. Inhalt des Wiedereinstellungsanspruchs
Rz. 1250
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