Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 412
Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aus, ist er darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung in Betracht kommen (BAG v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = NJW 1988, 438; Reinecke, NZA 1989, 584). Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG für das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber hat die Umstände, die der Kündigung zugrunde liegen, zu schildern und die behaupteten Pflichtverletzungen nach Ort, Zeit, Inhalt und/oder Ablauf anhand von Tatsachen konkret zu beschreiben. Es reicht nicht aus, wenn er lediglich pauschale Werturteile oder Schlagworte, wie "häufiges Zuspätkommen", "Arbeitsverweigerung" oder "Beleidigung" darlegt (BAG v. 26.6.1997, RZK I 5i Nr. 126). Hat der Arbeitgeber Abmahnungen ausgesprochen, muss er dies vortragen und – falls der Arbeitnehmer das bestreitet – auch beweisen, dass die Abmahnungen wirksam waren. Der Arbeitgeber muss infolgedessen darlegen, dass die Abmahnungen den notwendigen Inhalt hatten und ein Abmahnungsgrund vorlag. Hat sich der Arbeitnehmer nicht gegen die Abmahnung gewehrt, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass er mit ihr einverstanden war oder sein Fehlverhalten konkludent eingeräumt hat. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, gegen eine aus seiner Sicht zu Unrecht erfolgte Abmahnung Schritte einzuleiten (hierzu im Einzelnen vgl. Rdn 394).
Rz. 413
Der Arbeitgeber muss auch diejenigen Tatsachen und Umstände darlegen und beweisen, welche die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist begründen (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 28/19, Rn 16; BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 110/15, Rn 32).
Rz. 414
Der Arbeitgeber muss zudem beweisen, dass die Vertragsverletzung des Arbeitnehmers rechtswidrig war (BAG v. 24.11.1983, AP Nr. 76 zu § 626 BGB m. Anm. Baumgärtel; BAG v. 26.8.1993, AP Nr. 12 zu § 626 BGB m. Anm. Berning).
Hat der Arbeitnehmer substanziiert Rechtfertigungs- und/oder Entschuldigungsgründe vorgetragen, indem er z.B. geltend macht, es sei im Betrieb üblich gewesen, in Abstimmung mit den Kollegen den Arbeitsplatz bereits vorzeitig zu verlassen oder er habe nicht unentschuldigt gefehlt, sondern sei arbeitsunfähig krank gewesen, trifft den Arbeitgeber grds. die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Tatsachen, die einen Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 110/15, Rn 32; BAG v. 3.11.2011, BeckRS 2012, 67968; BAG v. 12.8.1976, EzA § 1 KSchG Nr. 23). Dies gilt z.B. auch bei einer an sich rechtswidrigen Konkurrenztätigkeit, wenn der angestellte Steuergehilfe Buchhaltungsarbeiten für Dritte sowie Steuererklärungen im Bekanntenkreis gegen Entgelt leistet. Beruft sich der fristlos gekündigte Angestellte in diesem Fall auf eine vom Arbeitgeber erteilte Erlaubnis, muss dieser nach der Rspr. des BAG darlegen und beweisen, dass er die Erlaubnis nicht erteilt hat (BAG v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = NJW 1988, 438).
Das BAG hat hierzu ausgeführt, derjenige, der eine außerordentliche Kündigung ausspreche und damit ein Gestaltungsrecht ausübe, sei darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein könnten, die Grundlage für seine Rechtsausübung darzustellen (BAG v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87, DB 1988, 451 = NJW 1988, 438; BAGE 2, 333). Die Darlegungs- und Beweislast sei nicht so aufzuteilen, dass der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und die bei der Interessenabwägung für den Gekündigten ungünstigen Umstände und der Gekündigte seinerseits Rechtfertigungsgründe und für ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hätte. Die gegenteilige Auffassung des 3. Senats im Urt. v. 16.6.1976 (AP Nr. 8 zu § 611 BGB Treuepflicht), wonach der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen und den Umfang der Gestattung trage, wenn streitig bleibe, ob und in welchem Umfange der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Konkurrenztätigkeit gestattet habe, wurde insoweit aufgegeben, als sie sich auf die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung bezieht. Aus § 60 HGB lasse sich im Hinblick auf die Beweislastverteilung keine klare gesetzliche Regelung des Inhalts entnehmen, der Arbeitnehmer sei für die Erlaubnis des Arbeitgebers beweispflichtig. Eine Konkurrenztätigkeit sei nicht überhaupt verboten, sondern nur, wenn sie ohne Einwilligung erfolgt. Auch ein Regel-/Ausnahmeverhältnis bezüglich eines möglichen Verhaltens des Arbeitgebers lasse sich der Norm nicht entnehmen, da es jeweils eine Frage des konkreten Einzelfalles sei, ob der konkrete Arbeitgeber einer Nebentätigkeit zustimmt oder nicht. Die Tatsache einer solchen Tätigkeit indiziert damit noch kein vertragswidriges Verhalten.
Rz. 415
Den Arbeitnehmer trifft in Bezug auf die von ihm vorgebrachten Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründe zunächst eine erhöhte Darlegungslast. Er muss unter genauer...