Rz. 35
Das Verfahren vor dem EGMR als solches ist für die Parteien kostenfrei. Prozesskostenhilfe kann gem. Art. 105 bis 110 VerfO gewährt werden, wenn sie für die ordnungsgemäße Prüfung der Rechtssache notwendig und der Beschwerdeführer finanziell bedürftig ist – allerdings erst nach Zustellung der Beschwerde an die Regierung des betroffenen Staates. Ab diesem Zeitpunkt kann der Beschwerdeführer beim zuständigen Kammerpräsidenten Prozesskostenhilfe beantragen (Art. 105 Abs. 1 VerfO); das dafür vorgesehene Antragsformular "Legal Aid" ist bei der Kanzlei des Gerichts erhältlich. Dem Antrag muss eine detaillierte Vermögensauskunft beigelegt werden, die von der zuständigen innerstaatlichen Behörde bestätigt werden muss (Art. 107 Abs. 1 VerfO).
In Deutschland muss die Bedürftigkeit durch eine Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO nachgewiesen werden. Die Vermögensauskunft wird dem Antrag auf Prozesskostenhilfe an den Kammerpräsidenten beigelegt, der diese an das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz weiterleitet. Die gegenwärtigen Tarife sehen für den Beschwerdeführer einen Pauschalbetrag von max. 850 EUR vor. Findet eine mündliche Verhandlung statt, erhöht sich der Pauschalbetrag um 300 EUR. Nimmt der Beschwerdeführer an einer Vergleichsverhandlung teil, bekommt er 200 EUR zusätzlich. Hinzu kommen die Erstattung der Reisekosten sowie die Gewährung eines Tagegeldes in Höhe von 175 EUR, sofern die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung, an einer Zeugenvernehmung oder an Vergleichsverhandlungen erforderlich ist.
Gem. Art. 41 EMRK kann der Beschwerdeführer als Bestandteil der gerechten Entschädigung Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten und Auslagen (Ausgaben für Verfahren vor staatlichen Gerichten und vor dem EGMR, Anwaltskosten, Reise, Aufenthalts- und Übersetzungskosten) verlangen. Diese müssen tatsächlich entstanden, notwendig zur Abwendung der festgestellten Konventionsverletzung und der Höhe nach angemessen sein.
Rz. 36
Drittbetroffene, wie etwa Kinder in Verfahren zu Fragen des Umgangs- und Sorgerechts, dürfen zwar gem. Art. 36 EMRK an Verfahren vor dem EGMR teilnehmen. Sie konnten bislang aber keine finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen. Da eine Ausdehnung des Systems der Prozesskostenhilfe des EGMR politisch nicht realisierbar war, hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2013 zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem EGMR entschlossen (EGMR-Kostenhilfegesetz). Dadurch können Drittbetroffene Kostenhilfe erhalten, nachdem die Beschwerde der Bundesregierung zur Stellungnahme zugestellt und der Antrag auf Drittbeteiligung beim EGMR positiv beschieden wurde. Gem. § 1 Abs. 2 EGMR-Kostenhilfegesetz richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften des deutschen Prozesskostenhilferechts. Über den Antrag auf Kostenhilfe entscheidet das Bundesamt für Justiz (§ 3 EGMR-Kostenhilfegesetz). Die Höhe der Erstattungsbeträge entspricht den Tarifen, die den Beschwerdeführern zubilligt werden, wie sich aus § 1 der EGMR-Kostenhilfe-Erstattungsbetragsverordnung ergibt. Zwar fallen die Erstattungsbeträge im Vergleich zu dem tatsächlichen Kostenanfall sehr gering und keinesfalls kostendeckend aus. Von einer vollständigen Übernahme der Kosten durch die Bundeskasse nahm der Gesetzgeber jedoch bewusst Abstand, um Drittbetroffene nicht besser zu stellen als den unmittelbar Betroffenen, der nur die – ebenfalls relativ gering bemessene – Prozesskostenhilfe durch den EGMR selbst erhält.
Rz. 37
Die Anwaltsvergütung für Verfahren vor dem EGMR ist in § 38a RVG geregelt. Diese Norm entspricht überwiegend der Regelung für Verfahren vor dem BVerfG. Danach finden die Vorschriften des Teil 3, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 RVG-VV entsprechend Anwendung. § 38a RVG gilt für jeden Rechtsbeistand, der im Rahmen einer Individualbeschwerde tätig wird. Dabei gilt jedes Verfahren vor dem EGMR als eine eigene Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG. Bei Überweisung des Verfahrens gem. Art. 30, 43 EMRK an die Große Kammer beginnt ein neuer Rechtszug, sodass eine neue Angelegenheit vorliegt und die Anwaltsgebühr i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG ein zweites Mal entsteht.
Die Verfahrensgebühren entstehen nach Teil 3, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 RVG-VV analog. Richtigerweise ist damit aber nur ein Verweis auf die Nr. 3206 und Nr. 3207 zu verstehen. Das Entstehen der Verfahrensgebühr richtet sich somit nach Nr. 3206 RVG-VV. Gemäß Nr. 3207 entsteht nur eine 1,2-Verfahrensgebühr, wenn der Auftrag des Rechtsbeistandes vorzeitig endet oder er lediglich eine eingeschränkte Tätigkeit erbringt. Vertritt ein Rechtsbeistand mehrere Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Verfahren, führt dies nicht zu einer Erhöhung der Verfahrensgebühr i.S.v. Nr. 1008 RVG-VV.
Findet eine mündliche Verhandlung statt, fällt eine Terminsgebühr gem. Nr. 3210 RVG-VV an, auf die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV auch grundsätzlich Anwendung fände. Allerdings ist Nr. 3104 Abs. ...