1. Keine andere internationale Instanz
Rz. 14
Eine Beschwerde ist unzulässig, wenn bereits eine andere internationale Instanz mit ihr befasst worden ist (lis pendens) und die Beschwerde vor dem EGMR im Vergleich zu dem vorherigen Verfahren keine neuen Tatsachen enthält (Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK). Dies ist bei Identität der Parteien, des Sachverhalts und des Beschwerdegegenstands anzunehmen.
2. Res iudicata
Rz. 15
Eine Beschwerde ist gemäß Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK unzulässig, wenn sie hinsichtlich des Beschwerdeführers, Sachverhalts und Beschwerdegegenstands im Wesentlichen mit einer bereits vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmt, ohne dass relevante neue Tatsachen vorgetragen werden.
Lediglich in Ausnahmefällen ist die Wiederaufnahme eines Beschwerdeverfahrens gem. Art. 80 Abs. 1 VerfO möglich. Voraussetzung dafür ist, dass dem Gericht oder den Parteien eine Tatsache erst später bekannt wird, die geeignet gewesen wäre, einen maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang einer entschiedenen Rechtssache auszuüben. Der Antrag muss innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntwerden der neuen Tatsachen erhoben werden.
3. Offensichtliche Unbegründetheit, Rechtsmissbrauch, kein erheblicher Nachteil
Rz. 16
Eine Beschwerde wird a limine zurückgewiesen, wenn sie sich als offensichtlich unbegründet erweist (Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 2 EMRK). Der EGMR macht von der Möglichkeit einer solchen Abweisung sehr häufig Gebrauch; ca. 90 % der Fälle scheitern an dieser Hürde. Die häufigsten Gründe für die Zurückweisung sind: offensichtliches Fehlen einer Konventionsverletzung, evident unzutreffender oder nicht beweisbarer Sachvortrag, unzureichend substantiierte Beschwerde sowie Beschwerden, die nur die fehlerhafte Anwendung innerstaatlichen Rechts oder mangelhafte Sachaufklärung durch nationale Gerichte rügen. Jene Entscheidungen enthielten im Regelfall keinerlei Begründung und hätten sich womöglich bei näherem Hinsehen bisweilen sogar als begründet erwiesen. Die anhaltende, gerade auch von anwaltlicher Seite geäußerte Kritik an dieser Praxis führte zu einem Umdenken innerhalb des EGMR. Mit Wirkung zum 1.6.2017 wurde die Gerichtspraxis insoweit geändert, dass Unzulässigkeitsentscheidungen, die durch einen Einzelrichter ergehen, fortan in vielen Fällen eine kurze Begründung enthalten, die die spezifischen Gründe für die Unzulässigkeit enthält. In Fällen unbegründeter, fehlerhafter oder missbräuchlicher Beschwerden ergehen Entscheidungen weiterhin ohne jedwede Angabe von Gründen.
Der Gerichtshof erklärt eine Beschwerde ferner für unzulässig, wenn der Beschwerdeführer sein Beschwerderecht missbraucht (Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 3 EMRK). In der Rechtssache Mirolubovs et al./Lettland aus dem Jahr 2009 hat der EGMR seine bisherige Rechtsprechung zu diesem Punkt zusammengefasst und Kriterien aufgestellt, ab wann eine Beschwerde als missbräuchlich anzusehen ist. Dies ist demnach der Fall, wenn sich die Beschwerde bewusst auf erfundene Tatsachen stützt, um den Gerichtshof zu täuschen; wenn sie den EGMR über einen für die Entscheidung wesentlichen Umstand nicht informiert; wenn sie besonders beleidigende, kränkende, drohende oder provozierende Ausdrücke gegenüber der Regierung, ihrem Prozessbevollmächtigten oder den staatlichen Behörden oder gegenüber dem EGMR, den Richtern, der Kanzlei oder ihren Bediensteten verwendet; wenn in Gesprächen mit Medien eine unverantwortliche und frivole Einstellung zum Gerichtsverfahren erkennbar wird; wenn wiederholt schikanöse oder offensichtlich unbegründete Beschwerden eingereicht werden, die einer früheren, als unzulässig zurückgewiesenen Beschwerde entsprechen oder wenn bewusst die Verpflichtung zur Vertraulichkeit des Verfahrens über eine gütliche Einigu...