1. Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG
Rz. 92
Für die außergerichtliche Vertretung erhält der Rechtsanwalt nach Nr. 2300 VV RVG eine Geschäftsgebühr von 0,5 bis 2,5. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 berechnet sich nach dem Gegenstandswert, § 13 RVG), und ist eine (Satz-) Rahmengebühr (§ 14 RVG). Die Mittelgebühr bestimmt sich aus der Addition der Mindest- und der Höchstgebühr geteilt durch zwei und beträgt somit 1,5. In der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG ist jedoch einschränkend geregelt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden darf, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war. Die 1,3 Geschäftsgebühr wird auch Regelgebühr oder Schwellengebühr genannt. Die Geschäftsgebühr regelt z.B. Tätigkeiten außerhalb gerichtlicher Verfahren wie zum Beispiel Anfertigung von Vertragsentwürfen, außergerichtliche Regelung von Schadensersatzansprüchen (außergerichtliche Regulierung eines Verkehrsunfalls mit der gegnerischen Versicherung oder der eigenen Vollkaskoversicherung), anwaltliche Aufforderungsschreiben, Mitwirkung bei Geschäftsgründungen und Abwehr von fremden Ansprüchen.
Beispiel
Rechtsanwalt Schnell richtet an den Schuldner Koch im Auftrag des Herrn Kirberg ein anwaltliches außergerichtliches Aufforderungsschreiben wegen einer offenen Forderung von 20.000,00 EUR sowie der Herausgabe eines Bildes im Wert von 500,00 EUR. Rechtsanwalt Schnell hat noch keinen Klageauftrag. Schuldner Koch meldet sich telefonisch bei Rechtsanwalt Schnell und bespricht die Sach- und Rechtslage ausführlich und mehrfach mit ihm. Schließlich zahlt er den offenen Betrag und lässt das Bild bei sich abholen. Die Sache ist erledigt. Die Vergütungsrechnung von Rechtsanwalt Schnell erfolgt unter Zugrundelegung einer Mittelgebühr, da die Angelegenheit überdurchschnittlich umfangreich war.
Gegenstandswert: 20.500,00 EUR, § 22 Abs. 1 RVG
1,5 Geschäftsgebühr |
|
(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 RVG) Nr. 2300 VV RVG |
1.113,00 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
1.133,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
215,27 EUR |
Summe |
1.348,27 EUR |
Variante:
Es hat keine Besprechung stattgefunden mit dem Gegner. Es wird die Regelgebühr in Höhe von 1,3 abgerechnet, da die Angelegenheit nicht umfangreich und auch nicht schwierig war.
Gegenstandswert: 20.500,00 EUR, § 22 Abs. 1 RVG
1,3 Geschäftsgebühr |
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(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 RVG) Nr. 2300 VV RVG |
964,60 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
984,60 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
187,07 EUR |
Summe |
1.171,67 EUR |
2. Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG
Rz. 93
Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist die Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte, jedoch maximal mit einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen, soweit der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist. Anrechnung bedeutet, dass der Anwalt zunächst die Geschäftsgebühr erhält, zu einem späteren Zeitpunkt aber wieder die Geschäftsgebühr teilweise von der Verfahrensgebühr abgezogen werden muss, wenn er über denselben Gegenstand auch in einem gerichtlichen Verfahren tätig wird. Andere Gebühren, wie z.B. die Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG, müssen voll angerechnet werden auf eine Verfahrensgebühr für das streitige Verfahren. Diese "nur teilweise Anrechnung" der Geschäftsgebühr macht in der Praxis erhebliche Probleme, vor allem dann, wenn die Streitgegenstände von gerichtlicher und außergerichtlicher Tätigkeit nicht identisch sind, denn die Geschäftsgebühr ist nur soweit anzurechnen, als der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit und des gerichtlichen Verfahrens übereinstimmen.
Rz. 94
Dabei gilt folgende Faustformel:
▪ |
Ist der Gegenstand von außergerichtlicher und gerichtlicher Tätigkeit identisch, erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Hälfte, maximal mit einem Gebührensatz von 0,75. |
▪ |
Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit des gerichtlichen Verfahrens höher als der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit, erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Hälfte, maximal mit einem Gebührensatz von 0,75 aus dem Wert der außergerichtlichen Tätigkeit. |
▪ |
Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit des gerichtlichen Verfahrens niedriger als der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit, erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Hälfte, maximal mit einem Gebührensatz von 0,75 aus dem Wert der gerichtlichen Tätigkeit. |
Rz. 95
Beispiel – Gegenstandsidentität von außergerichtlicher und gerichtlicher Tätigkeit:
Es werden außergerichtlich 5.000,00 EUR angemahnt und schließlich auch 5.000,00 EUR eingeklagt. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein der Klage stattgebendes Urteil. Die Abrechnung mit dem Mandanten sieht dann wie folgt aus:
Gegenstandswert: 5.000,00 EUR, § 2 Abs. 1 RVG
1. Außergerichtliche Tätigkeit
1,3 Geschäftsgebühr aus 5.000,00 EUR |
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(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 RVG) Nr. 2300 VV RVG |
393,90 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
413,90 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
78,64 EUR |
Summe |
492,54 EUR |
2. Gerichtliche Tätigkeit